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Impressum



P.Kafka/H.Maier-Leibnitz, Kernenergie - Ja oder Nein?



und Heinz Maier-Leibnitz
Kernenergie – Ja oder Nein?
Eine Auseinandersetzung zwischen zwei Physikern


München 1987 (Serie Piper); 290 Seiten; ISBN 3-492-10739-1 (auf dem Buchrücken ist die ISBN mit -7 als letzter Ziffer angegeben);
erweiterte Neuausgabe der
Streitbriefe über Kernenergie (1982)

Heinz Maier-Leibnitz: geboren 1911 in Esslingen. Studium der Physik in Stuttgart und Göttingen, 1935 Promotion. 1935-1952 am Kaiser-Wilhelm (Max-Planck)-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg, seit 1952 o. Prof. für technische Physik an der TU München. Gründung des Forschungsreaktors in Garching. 1974-1979 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zahlreiche Fachveröffentlichungen, außerdem (im Piper Verlag): Kochbuch für Füchse (1980), Mikrowellen-Kochkurs für Füchse (mit Traude Cless-Bernert) (1986).


Im Jahr 1979 schlug der Physiker Heinz Maier-Leibnitz – ein engagierter Befürworter der friedlichen Nutzung der Kernenergie – seinem jüngeren Physiker-Kollegen Peter Kafka – einem engagierten Gegner der Kernenergie – einen Gedankenaustausch in Briefen vor. Bis Mai 1982 diskutierten beide Wissenschaftler u. a. über folgende Themen: Freiheit der Wissenschaft und Verantwortung der Wissenschaftler – die Risiken kerntechnischer Anlagen – Großtechnik und Großforschung oder Dezentralisierung – Nutzung der Energie und Energieverschwendung – Atomenergie und Alternativen – Sinn und Unsinn detaillierter Zukunftsentwürfe. In ihrem 1982 als »Streitbriefe über Kernenergie« veröffentlichten Buch zeigten die Kontrahenten, daß eine sachliche Diskussion dieser Fragen möglich ist. – Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl führten die Autoren ihre Auseinandersetzung fort. Beide bedachten die Folgen dieses Ereignisses vom Frühjahr 1986 für ihre Position. Die Neuausgabe der »Streitbriefe«, jetzt unter dem Titel „Kernenergie – Ja oder Nein?“, enthält die unveränderten Texte der Erstausgabe von 1982 sowie fünf Texte, die nach Tschernobyl entstanden sind.

Am Ende hat keiner den anderen überzeugt. Das Überzeugende an dem Buch ist der Dialog als solcher, in dem zwei grundsätzlich verschiedene Einstellungen zu Technik, Fortschritt und Verantwortung deutlich werden. Diesen Dialog mitzuerleben und mitzudenken wirkt sich sehr förderlich auf die eigene Meinungsbildung aus.




Inhaltsverzeichnis





Vorbemerkung der Autoren



Vorbemerkung des Verlages zur Neuausgabe



Vorwort zur Neuausgabe von Hubert Markl






Heinz Maier-Leibnitz: Die Rolle der Wissenschaft bei den Anfängen der Kerntechnik



Peter Kafka: Einfalt und Vielfalt – Über das Wesen der Energie- und Wachstumskrise



Heinz Maier-Leibnitz: Atomenergie – vor 23 Jahren und heute betrachtet






Briefwechsel zwischen Peter Kafka und Heinz Maier-Leibnitz
26. Nov. 1979 – 20. Mai 1982






Heinz Maier-Leibnitz: Nachwort



Peter Kafka: Nachwort






Nach Tschernobyl: Die Auseinandersetzung geht weiter






Peter Kafka: Keine akute Gefahr?



Heinz Maier-Leibnitz: Lehren aus Tschernobyl



Peter Kafka: Brief vom 2.12.1986 – Brief vom 22.12.1986



Heinz Maier-Leibnitz: Naturwissenschaft und Rhetorik








Leseprobe





Vorbemerkung der Autoren






Auf S. 65 dieses Buches beginnt unser Briefwechsel, der sich mit einigen Pausen über zweieinhalb Jahre erstreckte. Er ist authentisch, die Briefe sind ohne Kürzungen oder redaktionelle Bearbeitung abgedruckt. Wir sind uns persönlich nicht bekannt und hatten außerhalb dieser „Streitbriefe“ keinen Kontakt miteinander. Der Leser kann daher unsere „Begegnung“ vollständig nachvollziehen.

Den Briefen sind drei Vortragstexte gleichsam als Einführung in die Thematik des Briefwechsels vorangestellt. Die Lektüre dieser Texte ist zum Verständnis der Briefe nicht erforderlich, aber hilfreich. Der erste Vortrag soll die Situation im Jahre 1956 beleuchten, als in der Bundesrepublik noch keine Uneinigkeit über die friedliche Nutzung der Kernenergie sichtbar war. Die anderen Texte aus den Jahren 1978 und 1979 reflektieren den seither entstandenen Dissens, wobei Kafkas „Erweckungspredigt“ zur Abkehr von aller Großforschung und Großtechnik aufruft, während Maier-Leibnitz zwar die Kritik aus der „Anti-Atom-Bewegung“ in seine Überlegungen mit einbezieht, an seiner grundsätzlichen Befürwortung der friedlichen Nutzung der Kernenergie jedoch festhält. Die beiden letzten Vorträge waren der Ausgangspunkt für den Briefwechsel.






Vorbemerkung des Verlages zur Neuauflage






Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl (26.4.1986) haben sich die beiden Autoren und der Verlag darüber verständigt, die „Streitbriefe über Kernenergie“ in einer erweiterten Taschenbuchausgabe neu herauszubringen. Deshalb haben die Autoren ihre Auseinandersetzung fortgeführt und dabei die Folgen von Tschernobyl berücksichtigt. Die neuen Texte wurden in der Reihenfolge ihres Entstehens abgedruckt, wobei Peter Kafka einen ursprünglich für die „Süddeutsche Zeitung“ verfaßten Aufsatz und zwei Briefe beitrug. Heinz Maier-Leibnitz schrieb seine Texte gezielt für die Neuausgabe, verzichtete dabei auf die Briefform. Sämtliche Texte der Erstausgabe wurden unverändert übernommen.






Nachwort von Heinz Maier-Leibnitz






Wir beenden unseren Briefwechsel mit gemischten Gefühlen. Ich bin mehr als vorher überzeugt: Die Wissenschaftler können die Welt nicht lenken, und ihre Verantwortung kann nicht groß sein. Sie wollen und sollen forschen, und damit sind sie zu beschäftigt, als daß sie noch einen vollen Beruf als Politiker ausüben könnten.

Das heißt nicht, daß sie nicht auch Bürger sind und wie diese Wünsche und Träume haben oder daß sie sich nicht auch konkret Gedanken machen, was geschehen könnte, und versuchen etwas durchzusetzen. Dazu ist ein Weg der Versuch der wissenschaftlich-technischen Politik-Beratung, oder eigentlich mehr, nämlich die Pflicht dazu, denn ohne die Auskünfte, die nur wir geben können, geht es nicht.

Der andere Weg ist der der Bürgerinitiativen. Hier ist ein Punkt, wo wir uns in den Briefen nicht geeinigt haben. Ich meine, wir müssen die Politiker verstehen, wie sie sind, und erwarten, daß sie auf Grund unserer Auskünfte und auf Grund ihrer Einschätzung der Bedürfnisse und der Wünsche der gesellschaftlichen Kräfte das politisch Mögliche tun. Herr Kafka mit seinen Freunden sieht darin keine Möglichkeit. Er scheint zu glauben, daß die Veränderung von einer gutwilligen und erleuchteten Minderheit ausgehen muß, zu der er sich und seine Freunde zählt.

Bei den Zielen gibt es ein gewisses Maß von Übereinstimmung zwischen uns. Ich gestehe meine Sympathie für weniger Wachstum und den „Fortschritt in Gemächlichkeit“. Aber über die möglichen Wege sind wir so verschiedener Meinung – und „wir“ heißt nicht wir beide, sondern zwei große Gruppen –, daß keiner von uns ganz recht haben kann, jedenfalls nicht, was die Vorhersage für die künftige Entwicklung betrifft, denn darauf werden beide Gruppen und noch viele andere Einfluß haben. Deshalb müssen wir miteinander reden, auch wenn es uns nicht besonders freut.






Nachwort von Peter Kafka






Nun darf ich noch ein Wort zu Ihnen, den Lesern, sagen. Jene, die sich schon anfangs kopfschüttelnd fragten, warum denn ein seriöser Fachmann sich überhaupt mit einem derart naiven alternativen Schwätzer eingelassen habe, sind nicht mehr dabei; ich nehme also an, Sie alle wollten etwas hinzulernen, um die in immer schnellerer Folge von uns geforderten Entscheidungen über Wege in die Zukunft mit mehr vernünftiger Zuversicht und weniger leichtsinniger Risikofreude anzugehen. Hoffte aber jemand, nach einer solchen Diskussion stünden ein paar einfache Wahrheiten für beide Streiter und alle Leser fest, so ist er nun enttäuscht. Wir haben anscheinend kaum etwas voneinander lernen können. Vielmehr haben wir oft aneinander vorbei zu Ihnen gesprochen, um Sie von eigenen Einsichten zu überzeugen oder für Vorurteile einzunehmen. Das Ergebnis ist also nicht viel anders, als hätten Sie je ein Buch von beiden Seiten gelesen. Aber auch das ist ja schon etwas wert.

Über eines allerdings waren wir uns wohl einig: ob wir die großtechnische Nutzung der Kernenergie weiter ausbauen oder wieder einstellen, ist eine gesellschaftliche Frage, nicht etwa eine technische.

Wer heute über mögliche Leitlinien gesellschaftlicher Entwicklung nachdenkt, den schimpft man einen Ideologen. Wenn Sie wollen, nennen Sie also Herrn Maier-Leibnitz einen ideologischen Kernenergiebefürworter und mich einen ideologischen Kernenergiegegner. Herr Maier-Leibnitz hängt, wenn auch durch Erfahrung leicht verunsichert, der „Ideologie des großtechnischen Optimismus“ an, die ich so zusammenfassen möchte:

Die Menschheit steht vor gewaltigen Problemen. Mögen diese auch größtenteils erst durch menschliches Handeln entstanden sein – der Mensch läßt sich leider nicht ändern, und deshalb liegt der einzige Ausweg in weiterem, ja beschleunigtem und besser gezieltem, rationalem Handeln von Sachverständigen und verantwortlichen Regierungen. Beschleunigte und zielgerichtete Planung sind aber am besten in Großforschung und Großtechnik gewährleistet.

Demgegenüber vertrete ich eine vorsichtigere Ideologie, die heute kurz „grün“ genannt wird:

Das System von Leben und menschlicher Gesellschaft ist so komplex, daß jedes auf vordergründige Ziele gerichtete, zentral gesteuerte Handeln fast mit Sicherheit zerstörerisch ist. Aus eben solchem Handeln stammen ja auch all die gewaltigen Probleme. Der einzige Ausweg liegt daher im Wachsen angepaßter Technik und dezentraler gesellschaftlicher Institutionen, die militärische und technokratische Einfalt und Raserei beschränken und statt dessen Vielfalt und Gemächlichkeit, die Bedingungen weiterer Evolution, begünstigen.

Offensichtlich muß eine der beiden Ideologien mehr Wahrheitsgehalt haben als die andere, aber welche nun die künftige Entwicklung bestimmen wird, hängt von Ihnen, den Bürgern, ab. Sie müssen fähig werden, aus Einsicht zu entscheiden; sonst entscheiden „naturgemäß“ die wirtschaftlichen Machthaber im eigenen Interesse.

(...)






Die Autoren haben ihre Nachworte unabhängig voneinander und ohne Kenntnis des jeweils anderen Textes geschrieben.