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Zeit
zum Aufstehen
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Anmerkungen
zur Überwindung der globalen Beschleunigungskrise
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Stark
erweiterte Bearbeitung des freien Redebeitrags beim Symposium
"Gesellschaft und Bildung im 21.Jahrhundert" des
Hessischen Kultusministeriums am 10. Oktober 1997 in Wiesbaden
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AUSDRUCKEN:
PDF
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1.
Unerhörter Weckruf?
Noch so guter
Wille kann offenbar nicht verhindern, daß die
gesellschaftlichen und ökologischen Probleme immer schneller
anwachsen. Auch das Abschieben der Verantwortung auf höhere
Ebenen scheint alles eher noch schlimmer zu machen. Das zwingt
uns, über die Fundamente der menschlichen Gesellschaft neu
nachzudenken. Es müssen wohl wesentliche Leitlinien der
Moderne sein, die uns in innere Widersprüche und ins Chaos
führen. Die verbreitete Resignation und Verdrossenheit
entspringt der Ahnung, daß selbst auf die verfassungsmäßige
Grundordnung kein Verlaß mehr ist. Wie sollten wir denn aus
dem gewaltigen, raffinierten Geflecht politischer,
wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ideen herausfinden, die
nun alle Welt erobert haben und doch so offensichtlich nicht mehr
lebensfähig sind? Drohen wir uns nicht nur immer stärker
darin zu verheddern – es sei denn, es gelänge, "das
ganze System" loszuwerden?
"Radikale
Systemveränderung" erscheint nach den geschichtlichen
Erfahrungen so unvorstellbar, daß keine Aufbruchsstimmung
mehr aufkommen mag. Die Verzagtheit wird nur zu überwinden
sein, wenn ein tragfähiges Fundament sichtbar wird, das ohne
tiefen Fall erreichbar ist. So gehört zu den Bildungszielen
des nächsten Jahrhunderts zunächst ein gewissermaßen
"fundamentalistischer" Ansatz für die
Selbstorganisation unserer Freiheit. Noch mehr als seinerzeit bei
der Überwindung der Sklaverei oder der Adelsprivilegien
werden dabei heiligste Denkgewohnheiten zu revidieren sein.
Lassen Sie mich das Unerhörte gleich zu Beginn aussprechen:
Die immer schnellere, global gewordene Konkurrenz um
Lebensgrundlagen muß überwunden werden. Und dazu
gehört die Überwindung des Aberglaubens ans
Gottesgnadentum des in fremde Lebensgrundlagen investierten
Eigentums.
Selbst Repräsentanten und Diener der
Macht spüren, daß Gesellschaft und Biosphäre am
Abrutschen sind. Bis in ihre Festreden hinein leiden sogar die
Sensibleren unter den Politikern durchaus an der eigenen
Mitwirkung als Schmiermittel. Nur empfinden fast alle das
Geschehen als praktisch zwangsläufig. Die Macht organisiert
sich heute vor allem durch den Aberglauben, es handle sich hier
um quasi naturgesetzliche Abläufe. So erscheint es aus der
Sicht der gegenwärtigen Realität als unrealistisch
oder utopisch, den Untergang durch Übergang zu etwas
ganz anderem ersetzen zu wollen. Den sogenannten Realisten fehlt
bekanntlich der Möglichkeitssinn. Wecken wir ihn durch einen
Blick auf die Geschichte – die Schöpfungsgeschichte.
Als
hier vorhin mehrfach das Schlagwort Innovation anklang,
fiel mir wieder ein, wie vor fast zehn Jahren Ernst-Ludwig
Winnacker, führender deutscher Genforscher und demnächst
neuer Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den
Anbruch des achten Schöpfungstages verkündete. Wo eben
noch das Bild langsam und vorsichtig im Ton knetender Hände
für den Schöpfungsprozeß stand, da erscheint
jetzt das Bild flinker Finger, die um die Wette an einem
Kartenhaus bauen. Ja – wie funktioniert eigentlich
Wertschöpfung? Kann sie – trotz des so
offensichtlichen, wunderbaren Aufstiegs seit dem Urknall –
auch schiefgehen? Wann führt der Fortschritt wahrscheinlich
aufwärts – zu lebensfähiger, entwicklungsfähiger
Gestalt? Und wann wahrscheinlich abwärts – zum
Zusammenbruch? Gibt es hierfür logisch einsichtige
Bedingungen?
Es ist verblüffend, wie wenige von uns
diese Frage stellen oder auch nur zulassen wollen. Mich bewegte
sie seit der Kindheit. Die Anzeichen allgemeinen Wahnsinns waren
ja unübersehbar [Anmerkung: P. Kafka ist Jahrgang 1933]. Da
ich später auch als Astrophysiker über den
Schöpfungsprozeß nachzudenken hatte, mußte ich
noch weiter unten, an den Wurzeln, anfangen. Ich kam auf ziemlich
einfache Antworten und habe mich überzeugt: Die
"Systemtheorie von Gott und Teufel" läßt
sich auch im wissenschaftlichen Weltbild so formulieren, daß
sie selbst Kindern zu vermitteln ist. Deshalb hoffe ich: Die
nächste Generation wird die Wahnideen hinwegfegen, die heute
die Menschheit an die Wettspiele der Kartenhausbauer
fesseln.
Bei Kindern mögen sogar zwanzig Minuten
ausreichen, um das Wesentliche klarzumachen. Bei gebildeten
Leuten natürlich nicht. Da wäre zu viel Gedankenschutt
wegzuräumen. Aber wenigstens an die Wissenschaft glauben Sie
doch alle. So will ich aus wissenschaftlicher Sicht kurz ans
Schöpfungsprinzip und ans Wesen der globalen
Beschleunigungskrise erinnern. Auch wir selbst sind ja
offensichtlich Teil der materiellen Welt in Raum und Zeit, mit
der sich die Wissenschaften beschäftigen. Wie also findet
diese sogenannte Wirklichkeit ihren Weg in der unermeßlich
großen Menge an Möglichkeiten – seit etwa 15
Milliarden Jahren insgesamt aufwärts – zu immer
komplexeren, raffinierteren Gestalten? Welche Prinzipien stehen
dahinter?
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2.
Schöpfungsprinzip
Wir
sind uns heute ziemlich sicher: Die Welt begann mit fast nichts,
vielleicht mit "Vakuumfluktuationen", wie es die
Physiker nennen. Am Anfang stand wohl der einfachste denkbare
Zustand. Da ist alles Eins, ohne jede detaillierte Struktur, so
dicht und gleichmäßig zusammen wie möglich, und
alles fliegt so gleichmäßig wie möglich
auseinander. Aus diesem simpelsten möglichen Zustand ist nun
geworden, was wir unser Weltall nennen. Dazu gehört unser
Milchstraßensystem, unsere Sonne, die Erde, ihre Biosphäre,
die Gesellschaft – und das, was hier und jetzt in unseren
Köpfen geschieht. Merkwürdig, nicht wahr? Wie kam das
alles?
Nicht nur die moderne Physik lehrt uns: Die Wahl
der Wirklichkeit unter den unermeßlich vielen Möglichkeiten
hängt von Zufällen ab. Hätte meine Mutter nicht
den Zug verpaßt und wäre sie dann nicht mit einem
anderen zu spät Gekommenen am Bahnsteig ins Gespräch
gekommen, so stünde ich nicht hier. Und auch einiges andere
wäre offensichtlich anders gelaufen. Der Zufall spielt eine
entscheidende Rolle. Wie konnte ein solches Schöpfungsprinzip
die Welt dennoch so offensichtlich insgesamt ständig
aufwärts klettern lassen? Verstehen wir das?
Ja, wir
verstehen das heute. Der Zufall ist in den Gesetzen der Natur
eingebaut – er ist sogar, gewissermaßen, die einzige
Notwendigkeit. Alle Wirklichkeit muß ständig
herumzappeln, und eben dadurch tastet sie ihre Nachbarschaft im
Raum der Möglichkeiten ab. Werden dabei Gestaltmöglichkeiten
berührt, in denen die Dinge ein bißchen besser
zusammenpassen, so wird wahrscheinlich an dieser Stelle
weitergegangen – und nicht bei anderen Möglichkeiten,
die auch berührt, aber wieder verlassen wurden, weil sie
eben nicht so "gut", nämlich nicht so
überlebensfähig waren. "Wahrscheinlich überlebt
Überlebensfähigeres" – oder, noch krasser
tautologisch: "Wahrscheinlich geschieht Wahrscheinlicheres".
Logische Selbstverständlichkeit ist das Prinzip der
Schöpfung. Nichts als Tautologie ist es, was die Welt im
Raum der Möglichkeiten "aufwärts" finden
läßt.
Unermeßlich ist der
Gestaltenreichtum in diesem Raum, den wir auch das "Reich
der Ideen", die "geistige Welt" oder den "Himmel"
zu nennen gewohnt sind. Verwirklicht aber wird nur das, was die
Wirklichkeit findet. Sie zeichnet eine Linie in diesen
unendlich-dimensionalen Raum. Deren jeweils gegenwärtiges
Ende ertastet Gestalten in immer neuen Dimensionen. Die "Länge"
dieser Linie erfahren wir als Zeit. Sie begann im simplen
Urknall. Der Weg ist nicht vorherbestimmt. Auch sind die
naturgesetzlich ausgezeichneten Gestalten nicht etwa exakt
verwirklichbar. Nicht einmal das Proton, Grundbaustein der
Materie, lebt ewig. Wo immer die Wirklichkeit hingelangt, gibt es
wiederum Übergangswahrscheinlichkeiten, und im Rahmen der
jeweiligen Wahrscheinlichkeitsverteilungen entscheidet das
Geprassel der Zufälle, wohin die Geschichte weiterläuft.
Sind aber Gestalten zu finden, in denen "die Dinge besser
zusammenpassen", weil innere und äußere
Organisation die Reichweite des weiteren Zappelns beschränken,
dann werden wahrscheinlich diese Gestalten die
Wirklichkeit stärker anziehen. Aus ihrem Einzugsbereich ist
nicht so leicht wieder herauszuspringen.
Schauen wir die
Welt an: Lauter zyklische Attraktoren im Raum der Möglichkeiten,
in deren Nähe die Wirklichkeit sich im wesentlichen ständig
wiederholt. Und doch muß sie dabei durch immer neue
zufällige Wechselwirkungen in vielen kleinen Variationen
ausprobieren, ob nicht noch zuverlässigere Attraktoren in
der Nachbarschaft liegen. Erst nach genügend langem
Ausprobieren heißt es dann am Abend eines Schöpfungstages:
Und siehe da, es war sehr gut. Das heißt: Es sind
Gestalten gefunden worden, von denen die Wirklichkeit lange nicht
wieder loskommt. Solche Bewährungsfähigkeit kann, wie
gesagt, natürlich nur darin liegen, daß die innere
Gestaltorganisation das Gezappel kleiner werden läßt,
oder daß die Einbettung im Raum der Möglichkeiten dem
Verlassen des Einzugsbereiches höhere Schwellen in den Weg
legt. Dies ist das Wesen gelungener Gestalten. Wieder nichts als
Tautologie...
* * *
Wenn aber der Tag vorbei und
"alles sehr gut" ist, nämlich alles zuverlässigen
quasizyklischen Attraktoren folgt, geht es dennoch am nächsten
Tag weiter. "Höhere Dimensionen" werden eröffnet.
Gerade das nunmehr beschränkte Zappeln führt
offenbar weiter aufwärts, zu noch höherer Komplexität.
Der "neue Schöpfungstag" bedeutet, daß nun
mit schwächeren Wechselwirkungen weitergetastet wird
– mit solchen nämlich, die es gerade nicht
schaffen, die bewährten Prinzipien der gelungenen Gestalten
vorangegangener Schöpfungstage zu durchbrechen. Nur mit
schwächeren Wechselwirkungen ist am neuen Tag
wahrscheinlich noch höhere Komplexität zu finden. In
der Fülle des Reichs der Ideen bieten sich hierfür noch
umfassendere Gestalten an, in denen aber die zuvor erreichten
nicht etwa aufgegeben werden, sondern gesichert und noch
raffinierter miteinander verflochten werden. Das ist die
Schöpfungsgeschichte, vom ersten Tag an bis hin zu uns
selbst, zum seelischen und kulturellen Tasten.
Wer über
den Begriff der Komplexität nachgedacht hat, merkt
sicherlich, wo ich hier geschwindelt habe: Es gibt natürlich
Situationen, in denen "immer besseres Zusammenpassen"
immer mehr Simplizität bedeutet. Denken wir nur an
die einfachsten Typen von Instabilität – etwa
den Kollaps einer riesigen Masse unter ihrer eigenen Schwerkraft,
der es nicht gelingt, den globalen Schwung in Vorgänge auf
kleineren Skalen umzulenken, also etwa die Gestalttypen von
Milchstraßen oder Sternen zu erreichen. Dann entsteht ein
"Schwarzes Loch", geradezu das Paradigma der
Einfachheit, vollständig gekennzeichnet durch höchstens
drei Zahlen – im unendlich-dimensionalen Raum der
Möglichkeiten also "ganz unten", wie die
Ursprungsidee unseres Universums, der Urknall.
Daß
eine solche Annullierung der Ergebnisse aller Schöpfungstage
nicht universell geschieht, jedenfalls nicht für
viele weitere Milliarden von Jahren, dafür sorgt eben die
Ursprungsidee. Lokal aber kommt solcher Absturz natürlich
vor, wenn auch meist nicht bis "ganz unten". Das Reich
der Ideen sorgt durch seine innere Struktur dafür, daß
eine "Aufwärtsdiffusion" zur Verwirklichung
höherer Komplexität prinzipiell wahrscheinlich ist. In
Fachsprache: "An den Strömen zwischen den am ersten Tag
geschaffenen Energiequellen und Entropiesenken wurden praktisch
unendlich viele dissipative Gestalten abgetastet – und in
hochdimensionalen Räumen geht es in fast allen Punkten in
vielen Richtungen aufwärts".
Aber ist darauf
auch für uns selbst Verlaß? Die Frage, die nun so
viele von uns bewegt, ist doch gerade: Wird die Entwicklung im
Raum der Möglichkeiten unserer Erde zurückfallen oder
weiter "aufwärts" führen? Können wir das
überhaupt unterscheiden? Bedeuten womöglich gerade die
globale Vereinheitlichung und Beschleunigung, daß wir in
eine Instabilität geraten sind? Sind wir auf dem Weg zur
Hölle – mit wie guten Vorsätzen und
Bildungszielen er auch gepflastert sein mag? Ist nicht etwa die
Menschheit dabei, die höchsten bisher erreichten
Dimensionen, die Noosphäre – das Reich bewußten
Geisteslebens – mittels immer raffinierterer und doch oft
schrecklich dummer Techniken wieder zu verlassen und dabei sogar
die oberen Stockwerke der Biosphäre mit einzureißen?
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3.
Globale Beschleunigungskrise
Mit dem
Menschen ist ein Problem aufgetaucht. Das bemerkten schon die
Alten, und so kommt es in den Schöpfungsmythen vor: Der
evolutionäre Selbstorganisationsprozeß kann auch bei
uns selbst schiefgehen und "abwärts" führen –
aber dann fühlen wir uns merkwürdigerweise dafür
verantwortlich. Was mag das bedeuten? Auch an früheren
Schöpfungstagen ist doch im einzelnen fast alles
schiefgegangen, ohne daß es uns deshalb einfiele, von
Schuld zu sprechen. Fast jeder Versuch in all dem "Gezappel"
erwies sich als Irrtum und wurde wieder verlassen. Und doch war
wegen der gewaltigen Menge unabhängiger Versuche stets die
Wahrscheinlichkeit groß genug, daß "Höheres"
gefunden wurde und sich auf längere Sicht bewähren
konnte, ohne die Ergebnisse früherer Tage zu gefährden.
Die chemische Entwicklung experimentierte nicht mit
Elementarteilchen und Kernkräften, das Lebendige nicht mit
neuen genetischen Codes, bei der Entfaltung der Organismen wurde
nicht das Prinzip der Zelle verlassen, das aufsteigende
Bewußtsein änderte nicht das Wesen der Organe, die
Kulturentwicklung nicht die "angeborenen
Verhaltensweisen"...
Erst gegen Ende des sechsten
Tages taucht dann jene bekannte Gestalt auf, der Engel Luzifer,
der Lichtbringer. Er hat gesehen, wie das alles
funktioniert – die Elementarteilchen, die Chemie, der
genetische Code, die Organe, das Gehirn, der Markt, die
Werbung... Alles verstanden, bis ins Detail. Und da sagt er sich:
Wieso soll ich denn so lange warten? Das geht doch viel
schneller! – Bekanntlich ist er dann gefallen, hat seitdem
einen anderen Namen, heißt nicht mehr der Lichtbringer,
sondern der Durcheinanderwerfer – Diabolos.
Warum
kommt der Teufel erst am sechsten Tag – erst mit dem
Menschen? Ganz klar: Auf den Niveaus früherer Tage waren die
Anführer an der Front der Evolution nicht fähig, aus
eigener Kraft das Ganze global untergehen zu lassen. In der
vormenschlichen Biosphäre war das praktisch unmöglich.
Nur gewaltige kosmische Unfälle hätten das Leben
ausrotten können. Im Reproduktionsprozeß des
Lebendigen muß ja jede Innovation ungeheuer lange geprüft
werden, bevor sie sich durchsetzen kann. Wenn ein kleiner Schaden
an einem Gen einer Ei- oder Samenzelle passiert, und nun
irgendein Enzym eine leicht veränderte Struktur hat, so wird
generationenlang ausprobiert, ob dies nun im Zusammenhang der
ganzen Art und im Wechselspiel aller Arten und mit der gesamten
Umwelt besser zusammenpaßt oder nicht. Deshalb
führte der biologische Weg aufwärts, zu immer reicherer
Komplexität. Von den Sedimentgesteinen bis zur Ozonschicht
an der Atmosphärengrenze – Gaia, wie die
Erdgöttin, nennt man das Ganze heute gern – alles ein
raffiniert zusammenpassendes Werk vielfältigen, allmählichen
Tastens des Lebens – bis jenes Tasten das Reich der
Großhirnmöglichkeiten eröffnete.
* *
*
Allmählich? Was soll das heißen? Langsam im
Vergleich wozu? Das Innovationstempo muß doch zwangsläufig
steigen. Schnelleres Voranstürmen im Raum der Möglichkeiten
hat logischerweise einen selektiven Vorteil, solange es noch
nicht in den Untergang geführt hat. Evolutionärer
Fortschritt besteht deshalb, unter der Lupe betrachtet, aus
lauter lokalen Revolutionen, die sich stürmisch auszubreiten
suchen und dabei fast alle scheitern, bis doch einmal
Lebensfähigkeit auf größerer Skala erreicht ist.
Für wie lange aber? Was schneller zappelt, tastet und
findet, definiert eben dadurch die Front im Raum der
Möglichkeiten. Es bestimmt damit den weiteren Weg der
gesamten Wirklichkeit, soweit sie bei dieser
Fortschrittsgeschwindigkeit zusammenhängt. Schon in der
biologischen Evolution nimmt die Geschwindigkeit zu, und das
Lebendige formt dabei die Haut der ganzen Erde. Und doch kann
dies, wie gesagt, noch immer nicht schiefgehen – obwohl
schon hierbei global zu den "höchsten Ideen"
übergegangen wird.
Beschleunigte Innovation und
Organisation in größerem Maßstab hängen ja
eng zusammen. Ihre selektiven Vorteile verstärken einander –
bis zu globaler Einfalt und Raserei, die freilich erst mit der
technischen Evolution verwirklichbar wurden. Berittene
Heere und Botensysteme schafften es noch nicht ganz. Erst mit
moderner Wissenschaft und Technik war der kritische Punkt der
Weltgeschichte zu erreichen, den wir selbst darstellen.
Die
systemtheoretisch unausweichliche Tendenz zu globaler
Vereinheitlichung und beschleunigter Innovation bedeutet, daß
evolutionärer Fortschritt in einem hinreichend isolierten
räumlichen Bereich schließlich aus eigener Kraft
in eine Krise führen muß. Ich habe sie die "globale
Beschleunigungskrise" genannt. Logischerweise gibt es
nämlich räumlich und zeitlich kritische
Grenzen. Räumlich ist das klar: Die Erde ist rund. Globaler
kann's nicht werden. Erst kürzlich haben wir gefeiert, daß
vor 500 Jahren unsere fixesten Ideen den ganzen Globus
übernahmen. Für sich allein war das offenbar noch nicht
kritisch. Aber nun ging's immer schneller, global immer
schneller. Selbst bei diesem Symposium hören wir wieder, wir
müßten endlich die Hindernisse für schnelleren
globalen Fortschritt aus dem Weg räumen. Wer wird da über
eine kritische Grenze der Innovationsgeschwindigkeit sprechen
wollen? Das erscheint den Anführern noch immer als
Defätismus, ja geradezu als Hochverrat am Abendland.
Auch
diese Meinungsführer erleben natürlich die immer
rascher entstehenden Probleme. "Aber das kriegen wir alles
wieder in den Griff", sagen sie. "Wir brauchen nur
weitere Vereinheitlichung und schnellere Innovation". Lösen
wir doch ein Problem, wenn es auftaucht! – Wahrscheinlich
haben wir dann zwei oder zehn neue Probleme dafür –
nicht wahr? Dann laßt uns doch auch diese lösen! Und
schon haben wir vier, oder hundert. Und die neuen Probleme sind
meist weitreichender, noch globaler, sozusagen, und sie bedürfen
noch rascherer globaler Lösung. Eine neue
Schlüsseltechnologie, oder besser, ohne die
umständliche Fummelei an Schlössern, gleich ein
Durchbruch – und schon öffnen sich riesige neue
Bereiche im Raum der Möglichkeiten, in die hinein alle Welt
voranstürmen kann! Und voranstürmen muß man, weil
das Hinterland bereits verwüstet ist. Am besten also ganz
abheben, in Flug übergehen, immer schneller... aufwärts
natürlich, nicht wahr? – Leider zeigt die Logik des
Schöpfungsprinzips: Solcher Flug müßte in freien
Fall übergehen.
Wo ist die kritische Grenze?
Natürlich dort, wo zu rasche Innovation keine Zeit zur
Bewährung läßt. Alle gelungenen Gestalten sind
zyklischer Natur. Da geschieht in jedem "Reproduktionszyklus"
im wesentlichen das Gleiche – trotz ständiger kleiner
Abweichungen durchs allgemeine Gezappel. Diese können das
Ganze nicht rasch aus dem Einzugsbereich seines "zyklischen
Attraktors" herausspringen lassen. Dies eben definiert einen
Attraktor – vom Kreisen der Elementarteilchen in einem Atom
bis zum Generationenzyklus des Menschen in seiner Kultur. In uns
freilich auf so unermeßlich viel höherem
Komplexitätsniveau, daß die
Übergangswahrscheinlichkeiten nicht einmal berechenbar
wären, wenn alle Materie der Welt zu einem Supercomputer
verarbeitet wäre und dieser viele Weltalter lang rechnete.
Berechnen lassen sich nur einfachste Gestalten des ersten
Tages – in meinem Institut versucht man zum Beispiel seit
Jahren, in den größten Computern die
Galaxienentstehung nachzuahmen.
Und doch können wir
aus der simplen Logik des Schöpfungsprinzips einen
zuverlässigen Schluß ziehen: Wird der Fortschritt im
Raum der Möglichkeiten so schnell, daß die führenden
Gestalten ihre Attraktoren verlassen, bevor sie auch nur "einmal
herum" sind, so ist die Wahrscheinlichkeit, aufwärts zu
finden, praktisch Null. Es kann dann nicht nur bei den Anführern
selbst, sondern auch in ihrer "Umwelt" bald nichts mehr
zusammenpassen. Vielleicht sagt Ihnen das schon die eigene
Intuition und Erfahrung: Die kritische Grenze ist überschritten,
wenn fast alle in der Mitte des eigenen Lebens nicht mehr
wiederfinden, was sie kennen und lieben gelernt haben, und wenn
sie ihren Kindern nicht sagen können wie es weitergehen
soll. – Es ist so weit.
* * *
Was soll und
darf ich tun? Die Theorie unseres Tuns nennen wir Ethik. Das Wort
kommt vom griechischen ethos, das heißt Gewohnheit.
Bewährung bedeutet, daß lange Zeit hindurch etwa das
Gleiche getan wird. Und warum? Weil es dann gutgeht. Bei zu
raschen, zu großen Abweichungen geht es eben schief –
und wenn der völlige Untergang noch vermeidbar ist, kehrt
man in die Nähe des Bewährten zurück. Und doch
sagen Theorie und Erfahrung: Die kritische
Innovationsgeschwindigkeit muß schließlich global
erreicht und überschritten werden – und unsere Zeit
ist es, in der dies geschieht! Wir selbst verkörpern diese
singuläre Epoche in der Erdgeschichte: die globale
Beschleunigungskrise.
Krise heißt Entscheidung,
nicht Untergang. Die Einsicht ins Wesen der Krise zeigt, was im
weiteren Selbstorganisationsprozeß geschehen muß,
damit es weiter aufwärts gehen kann: Die logischen
Voraussetzungen wirklicher Wertschöpfung müssen
wiederhergestellt und verfassungsmäßig gesichert
werden. Ich habe diese "Bedingungen des Fortschritts"
oft mit den Schlagworten "Vielfalt und Gemächlichkeit"
charakterisiert. Es scheint zunächst absurd, daß diese
nun offensichtlich in Eile und global verwirklicht
werden müßten – aber das ist kein innerer
Widerspruch. Eine globale Instabilität gibt
selbstverständlich durch ihr eigenes Wesen die kritische
Zeitskala vor, und nur innerhalb dieser bis zum Aufprall
verbleibenden Zeit ist ihr noch zu entkommen. Die flußabwärts
spurtenden Rennruderer, die endlich den Wasserfall wahrnehmen,
müssen noch vor ihm ans Ufer gelangen. Am Höhepunkt der
globalen Beschleunigungkrise ist die verbleibende Zeit etwa eine
menschliche Lebensdauer. Deshalb hat die hier skizzierte
"Systemtheorie von Gott und Teufel" etwas mit
"Bildungszielen des 21. Jahrhunderts" zu tun. In dessen
Mitte wird die Entscheidung gefallen sein.
Am Höhepunkt
der Krise Prognosen zu machen, wäre unsinnig. Man fragt mich
immer, ob ich Optimist oder Pessimist sei. Welch absurde Frage,
solange noch Rettung in Sicht ist! Es gilt, mit aller Kraft gegen
den Untergang zu arbeiten. Selbstverständlich gibt es im
Raum der Möglichkeiten lebensfähigere Gestalten als die
gegenwärtigen Organisationsformen der Menschheit. Wer
glaubt, das Reich der Ideen sei erschöpft, den möchte
ich wieder daran erinnern, daß schon für
vierundzwanzig Punkte, zwischen denen man jeweils einen Strich
zieht oder nicht, die Anzahl verschiedener möglicher
Beziehungsmuster größer ist als die Zahl der Atome im
beobachtbaren Weltall. An Möglichkeiten herrscht kein Mangel
– und sicher auch nicht an möglichen Wegen. Aber wie
finden wir nun einen?
Jetzt muß ich doch etwas
"Optimistisches" sagen: Um in bessere Verfassung zu
kommen, sind nicht gewaltige Sprünge oder Durchbrüche
nötig. Besseres liegt ganz in der Nachbarschaft, in
Reichweite der Arbeit einer Generation, denn menschliches Denken
und Fühlen zappelt seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden
ganz in seiner Nähe. Züge solcher besserer Gestalten
sind in den Programmen fast aller religiösen Strömungen
und politischen Parteien deutlich erkennbar. Nur paßt alles
noch nicht so recht zusammen An die Arbeit also!
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4.
Das Rennen (oder: difficile est satiram non
scribere)
Daß irgend etwas kritisch geworden ist,
sagen ja alle – aber dank unserer konservativen
evolutionären Ausstattung bemühen wir uns meist auch
dann noch um Treue zu den gängigen gesellschaftlichen
Leitideen, wenn in diesen fast nichts mehr zusammenpaßt,
und fast nichts mehr geht. Was ist los mit der sogenannten
Wirtschaft? Wachstum, Arbeit, Geld... Was fehlt uns eigentlich?
Führende Wissenschaftler und Politiker sehen nicht, was
jedes Kind sehen kann (sogar, wenn es nur fernsieht): Die
sogenannte Wirtschaft ist ein Popanz. Ökonomische Lehrbücher
mögen fehlerfrei sein – und sind doch grundfalsch.
Sozusagen schon vor der ersten Seite sind entscheidende Fehler
passiert. Die Grundbegriffe enthalten fatale innere Widersprüche.
Sehr deutlich wird dies auch in den pädagogischen
Reden des Bundespräsidenten sichtbar, der glaubt, uns für
die globale Konkurrenz fitter machen zu müssen. Wie
beeindruckt er aus Asien zurückkam! Die Wolkenkratzer und
die Wachstumsraten! An Indonesien und Malaysia sollen wir uns ein
Beispiel nehmen. Ist das nicht, als tadelte ich meinen
Achtzehnjährigen: Wieder bist du kaum gewachsen, dieses
Jahr! Schau dir dagegen deine kleine Schwester an! –
Sind da nicht einige Kinderfragen fällig?
Immer mehr
Anführer aus Politik und Wirtschaft erheben Stimme und
Zeigefinger, oder die Peitsche, um Aufbruchsstimmung zu
verbreiten. Ein Ruck muß durchs Land gehen, rief uns
der Präsident zu. Die Welt ist im Aufbruch und wird nicht
auf Deutschland warten. – Wohin es gehen soll, bleibt
vage. Doch das Volk soll sich aus seiner Depression befreien und
die lähmende Wachstumsschwäche überwinden. Alle
Besitzstände müssen auf den Prüfstand. Eine Vision
brauchen wir. Eine Gesellschaft der Selbständigkeit, in der
Freiheit der zentrale Wert ist. Wenn wir alle Fesseln abstreifen,
müssen wir es schaffen, wieder eine Spitzenposition
einzunehmen und eine Welle neuen Wachstums auszulösen, das
neue Arbeitsplätze schafft. ... Was hat er nicht für
Lob bekommen für diese Worte! Ja – warum erfaßt
nicht auch uns jene Dynamik, die Roman Herzog in Asien so
faszinierte? Vorwärts endlich – ins vorige
Jahrhundert?
Wie kindisch, sich beim Erwachsenwerden der
Wachstumsschwäche zu schämen! Mag auch die Schulbank
hier und da als Streckbank gestaltet sein, so weiß doch
schon der Jugendliche, daß nun andere Aufgaben bevorstehen.
Offensichtlich ist in den führenden Industrienationen jetzt
etwas anderes fällig als sogenanntes Wirtschaftswachstum.
Dies zeigen nicht nur die ökologischen und
gesellschaftlichen Zerstörungsprozesse, für die viele
kein Gespür haben; nein, auch auf der Oberfläche, im
Wirtschaftsleben, meldet sich ein garstiges Jucken – und
alle verordneten Salben scheinen es nur schlimmer zu machen.
Was
muß heute eigentlich wachsen, damit es uns besser geht? Die
Weisen sagen noch immer: Das reale Sozialprodukt, die sogenannte
Wertschöpfung. Was sind das für Werte, die wir da
schaffen? Offenbar dient die wirtschaftliche Aktivität in
entwickelten Ländern überwiegend nicht mehr dem Wohl
der Bürger. Das predigen ja auch die Experten schon lange –
ohne freilich zu merken, was sie da eigentlich sagen: Wenn das
reale Bruttosozialprodukt nicht wächst, geht es uns
schlechter! Mit anderen Worten: Tun wir heuer das gleiche wie
voriges Jahr, so geht's bergab. Warum nur, wenn wir dauernd Werte
schaffen? Falls uns nicht ständig von außen Gewalt
angetan wird, muß das wohl bedeuten: Unser eigenes Tun
richtet insgesamt mehr Schaden als Nutzen an. Tun wir mehr
vom Gleichen, um so das Sozialprodukt wachsen zu lassen, wird's
also noch schneller bergab gehen – nicht wahr?
Das
ist kein scheinbares Paradox, sondern ein echter innerer
Widerspruch unserer Leitideen. Im Bruttosozialprodukt wird
einfach alles, was Geld gekostet hat, aufaddiert. Es gibt kein
negatives Tun. Noch die schlimmste Zerstörung trägt
positiv bei. Schon eindimensionales Denken ist also den
Wirtschaftsweisen zu hoch. Nicht einmal Plus und Minus wollen sie
unterscheiden. Eine halbe Dimension muß genügen.
Gerade mal die Null kommt noch vor: Mit ihr wird bewertet, was
nicht verkauft und bezahlt wird – zum Beispiel was Eltern
für Kinder tun.
Der Expertenmaßstab versagt
offensichtlich auf den Prüfständen der Logik wie der
Praxis. Nicht nach dem Geldumsatz wäre doch wirtschaftlicher
Erfolg zu beurteilen, sondern nach den Folgen für Menschen
und Umwelt. Wollen wir auch als Erwachsene weiter wachsen, so
müssen wir es wohl in anderen Dimensionen versuchen. Der
eigentliche "Reformstau" liegt offenbar in den
Grundideen über die sogenannte Wirtschaft. Die Mehrheit darf
sich nicht mehr von hochbezahlten Weisen weismachen lassen, das
Wirtschaftsleben folge unabänderlichen Naturgesetzen. Eine
einsichtige Mehrheit kann und muß die Rahmenbedingungen der
Wirtschaft ändern.
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Jahrhundertelang
haben wir darauf hingearbeitet, weniger arbeiten zu müssen.
Wie dumm – jetzt ist es geschafft! Bald können wenige
Prozent aller Menschen den Güterbedarf aller anderen decken.
Was sollen dann die anderen tun? Könnten wir das bißchen
Arbeit gerecht verteilen und uns mit der gewonnenen Muße
höheren Fähigkeiten zuwenden? Blauäugig! –
sagen die Experten. Härter müssen wir arbeiten,
denn wir stehen im globalen Wettbewerb! Was das ist? Eine Art
Weltkrieg, möchte man meinen, wenn man die Heerführer
von schlagkräftigem Projektmanagement und
Durchbruchsstrategien reden hört. Aber nein, heißt es,
das ist ein friedlicher Wettbewerb – wenn auch kein
freiwilliger. Wer beim wachsenden Tempo nicht schritthält,
ist verloren.
Was ist eigentlich das Ziel des Rennens?
Wohin will alle Welt, die da Runde um Runde im globalen Stadion
läuft? Niemand kann ein Ziel nennen. Es gibt gar keines! Nur
schneller muß das Rennen werden! Wer im Wettbewerb nicht
vorn ist, geht unter, heißt es. Und doch im gleichen
Atemzug: Wir brauchen mehr Wettbewerb! Wir wollen also
nicht nur, daß andere untergehen – nein, wir
wollen uns dafür auch noch mehr anstrengen müssen.
Könnten wir nicht gemeinsam dafür sorgen, daß
es alle leichter haben, und daß trotzdem niemand untergehen
muß? – Ja, eben dafür brauchen wir noch mehr
globale Zusammenarbeit, heißt es. Doch wie merkwürdig:
Mehr internationale Kooperation scheint noch mehr Konkurrenz zu
bedeuten. Je stärker wir aneinander gebunden sind, um so
schneller scheinen wir allesamt laufen zu müssen – in
immer exakterem Gleichschritt, weil ein einziger Stolperer alle
stürzen ließe. Ist es da überhaupt noch denkbar,
sich aus den Bindungen zu lösen? Etwa die Verfolger höflich
vorbeizuwinken, sich am Rande der Aschenbahn auf den Rasen zu
setzen und eine Ruhepause einzulegen? Vielleicht auch denen zu
helfen, die so weit zurückliegen, daß bei Ihnen sogar
das Wachstum des Sozialprodukts noch positiv zu bewerten ist? Um
was eigentlich konkurrieren wir mit jenen? Warum trifft es uns so
hart, wenn's anderswo auf der Welt aufwärts geht?
Nun
ja – die einst von uns Kolonisierten wollen uns nicht mehr
dienen. Wir können sie nicht mehr so recht ausbeuten, müssen
also selbst wieder mehr arbeiten. Wie gut also, daß wir's
geschafft haben, mit immer weniger Arbeit alles zu produzieren,
was wir brauchen – nicht wahr? ... Ach nein, wie dumm! ...
Wir brauchen doch die Arbeitsplätze! Ganz wirr wird
mit im Kopf... Wofür brauchen wir sie eigentlich?
Ist
es in einem so hoch entwickelten Land noch sinnvoll, die
Grundversorgung vom Arbeitseinkommen abhängig zu machen?
Immer lauter wird diese Frage, in allen Parteien. Sogar Sir
Ralph Dahrendorf stellte sie – einst führender
deutscher FDP-Mann, dann Direktor der London School of
Economics (– etwa eine sozialistische Kaderschule? –)
und heute Mitglied des britischen Oberhauses. Er denkt, wie nun
schon viele, über ein allgemeines Bürgergeld für
Existenzminimum, Erziehung, Alter und Krankheit nach. An Bürgern,
die gern Arbeit übernähmen, um sich über die
Grundbedürfnisse hinaus etwas leisten zu können, werde
es dann gewiß nicht fehlen.
Welche Weltfremdheit!
Arbeit wird nicht übernommen, sondern gegeben!
Arbeitgeber sind nötig. Arbeitsplätze werden zur
Kapitalbedienung geschaffen – doch nicht, damit wir
essen und wohnen und Kinder wachsen lassen können! Durch
Arbeit darf das Leben letztlich nicht leichter werden – wo
bliebe sonst die Beschleunigung des Rennens, die Grundlage des
Wachstums, in das schließlich sämtliches Vermögen
investiert ist? Nein – bedrohlicher muß alles werden.
Erst der Kampf ums nackte Überleben mobilisiert letzte
Reserven!
Unsere eigenen Bedürfnisse reichen aber
nicht mehr aus, um unser Kapital zufriedenzustellen. Nicht nur,
daß wir zu wenig Not leiden, um das letzte zu geben –
diesem Mangel wäre ja durch Sozialabbau abzuhelfen –
nein, wir sind doch nun einmal eine Exportnation! Das weiß
doch jeder. Wir dürfen uns nicht so sehr um eigene
Bedürfnisse kümmern, sondern können nur leben,
wenn andere Nationen vieles von uns kaufen, das sie noch nicht
selbst herstellen können. Deshalb gilt bekanntlich: Die
Zukunft der Arbeit heißt Innovation! Wir müssen
neue Bedürfnisse schaffen – vor allem auch bei
anderen, damit uns nicht die Arbeit ausgeht, die wir brauchen, um
das Kapital zu bedienen, das uns dann als Lohn für diese
Dienste Brot gibt – und Spiele ...
Wie dumm, daß
andere Völker, diese Raubtiere, vor allem jene in den
Tigerstaaten, immer gleich lernen, wie's geht. Sogar
Erfindungen machen sie selbst! Und die unseren übernehmen
sie so schnell, daß sie schon morgen auch das Neueste
selbst erzeugen – und so billig, daß sogar wir
lieber bei ihnen kaufen ... Es fehlen also
Innovationen, die wirklich dauerhaft unsere Überlegenheit
erweisen, uns den Platz in der Spitzengruppe sichern, den der
Bundespräsident so sehr ersehnt. Sollte der Laufrhythmus
nicht mehr zu beschleunigen sein, so müssen eben die
Schritte größer werden! Da genügen nicht Tropfen
auf den heißen Stein, wie die regelmäßige
Vergrößerung der Speicherkapazität von Chips oder
die Ersetzung der Schallplatte durch die CD, die ein paar
Produzenten und Händlern für ein paar Jahre Auskommen
gab. Wann endlich kommt ein echter Durchbruch, der uns alle
dauerhaft in Arbeit einspannt und uns so vor sozialem Abstieg und
gar Hunger retten kann?
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Ländern
wie Indonesien sollen wir nun also nacheifern. Dort ist die
Wirtschaft viel weniger durch romantische Gefühlsduselei
oder Reste des sozialistischen Wahns behindert. Wer im globalen
Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte bestehen will, darf sich
nicht so sehr um Kranke und Behinderte, Kinder und Alte oder gar
um Umwelt und Menschenrechte scheren. Solche Besitzstände,
die nur unter der Bedrohung durch's totalitäre
Unrechtssystem des Sozialismus wider alle wirtschaftliche
Vernunft entstehen konnten, können auf dem Prüfstand
des Neoliberalismus nicht bestehen. Wir haben da über unsere
Verhältnisse gelebt.
Die Verhältnisse? Sind das
nicht die gesellschaftlichen Randbedingungen, die definieren,
worum es geht? Warum geht es nicht um frohe, geistig wachsende
Menschen in lebensfähiger Umwelt, sondern um
share-holder-value, Kapitalertrag und Wachstumsraten? Warum
setzen wir uns nicht vernünftigere Ziele? Woher das
ziellose, panische Rennen? Ist es ein Davonlaufen? Aber wovor
denn? Ist eine Bestie hinter uns her, die die Nachzügler
verschlingt?
Oh nein – noch schlimmer: Wir leben
von diesem Spiel. Das Geld zum Leben kommt von den Sponsoren
des Rennens, und diese verdienen es vor allem durch Wetten!
Dort oben auf den Rängen des Stadions sitzen sie, feuern uns
an, und wetten nicht nur auf unsere Rundenzeiten, sondern auch
auf die Höhe der Wettquoten und Einsätze, ja zunehmend
sogar auf noch höhere "Derivate". Schon wird auf
den Finanzmärkten fast hundertmal mehr Umsatz und
entsprechend mehr Gewinn gemacht, als im Welthandel mit realen
Gütern.
Kann dies den Läufern da unten nicht
egal sein? Ist es nicht ein Nullsummenspiel, bei dem die Gewinne
und Verluste der Wettenden sich ausgleichen? Oh nein! Die
Spielregeln sorgen ja für's rapide Wachstum der gesamten
Vermögen – und deren Eigentümer dürfen sich
damit immer mehr von den Lebensgrundlagen aller aneignen, immer
neue Abhängigkeiten schaffen!
Früher saß
man auf den Rängen in nationalen Logen beisammen, und jeder
förderte sein eigenes Team in der Runde der Läufer. Die
Globalisierung hat das drastisch geändert: Unsere Sponsoren
sind mittlerweile gar nicht mehr so sehr auf die
Beschleunigungswerte des "eigenen Teams" angewiesen,
wie es ihre Anfeuerungsrufe glauben machen sollen. Kommt ein
anderes Team nach vorne, so ist das für die Vermehrung der
"Wettgelder" ebenso recht. Immer schneller schwappen
die Billionen durch jene höchsten Ränge des Stadions,
die globalen Finanzmärkte. Täglich sind es bereits
hunderte von Mark pro Erdbewohner! Wenn dabei aber genug für
unser täglich Brot abfallen soll, müssen wir dringend
weitere Sponsoren finden, das heißt für fremde
Investoren reizvoller werden! Immer mehr Läufer sind es ja
geworden, doch immer weniger Sponsoren auf den Rängen –
schon weil diese immer dicker werden. Wie sollen wir Erwachsenen
in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Belohnung der "Geldgeber"
mithalten, wenn doch die Jüngsten im Rennen geradezu
unmenschliche Kunststückchen bieten?
Warum nur lassen
wir zu, daß die paar Leute auf den Rängen sich alle
unsere Lebensgrundlagen aneignen – noch dazu mit
leistungslosen Einkommen aus Wettgewinnen? Wollen wir nicht das
Rennen absagen und uns daran machen, das Stadion in einen Garten
zu verwandeln? Ach so – das geht nicht – wegen der
Besitzstände. Es gehört längst alles den
Sponsoren.
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Eben
hatten wir Deutschen in einer noch atavistischeren Form der
Konkurrenz die gemeinsten Verbrechen der letzten Jahrtausende
organisiert und wieder einmal alles kaputt geschlagen. Als
Nebenwirkung der 50 Jahre des Wiederaufbaus entstanden
phantastische Vermögen – größer als je in
unserer Geschichte, wenn auch nur ein Teil der vielen tausend
Milliarden den Statistikern oder gar Finanzämtern bekannt
ist. Nun aber heißt es: Wir müssen sparen! Es ist
kein Geld da! – Ja, wo ist es denn eigentlich?
An
der Macht ist es – und so dient es nicht seinem
eigentlichen Zweck, den Austausch von Gütern und
Dienstleistungen zu erleichtern. Das lohnt sich kaum. Was sich
lohnt, ist das Haben – sofern die geistige Leistung
hinzukommt, die Mehrheit im Aberglauben zu erhalten, es sei quasi
naturgesetzlich, daß man Arbeit und Lebenssinn nur finden
kann, wenn man mithilft, jenes Eigentum weiter anwachsen
lassen.
Privatisierung nennt man den letzten Akt
der Unterwerfung unter die Macht der Vermögen. Das letzte
Stück Land in kommunalem Eigentum und die letzten noch aus
gemeinnützigem Antrieb geschaffenen Werte müssen den
Geldbesitzern ausgeliefert werden, um endlich effizienter dem
Vermögenswachstum zu dienen. Und Deregulierung nennt
man es, wenn alle nicht durch Geldbeträge ausdrückbaren
Wertvorstellungen aus der Gesellschaftsverfassung verdrängt
werden – all jene seltsamen Bräuche und Einrichtungen,
die man einst die Kultur eines Landes nannte und die doch
kaum geldwerten Vorteil brachten. Das kann ganz zwanglos
abgeschafft werden. Der freie Bürger, der dank 99 Kanälen
alles über die Welt erfahren und geistig verarbeitet hat,
bestimmt in freien Wahlen eine Regierung, die dann Gesetze oder
Ministerratsbeschlüsse durchpeitscht, um letzte
Behinderungen für die Freiheit des Geldes abzubauen.
Bis
vor kurzem geschah das noch etwas halbherzig und zaghaft. Wohl
aus purer Nostalgie glaubte man lange, gewisse demokratische
Grundregeln wahren zu müssen. Damit ist es endlich vorbei.
Man kann nicht zwei Herren dienen – dem Volk und dem Geld.
So lassen nun demokratisch gewählte Parlamente ihre
Regierungen Verträge schließen, nach denen die eigene
Zuständigkeit und die demokratische Kontrolle zu beseitigen
sind. Es geht ja nicht an, daß etwa irgendwo die Mehrheit
die Möglichkeit behält, auf dem Wege demokratischer
Gesetzgebung die Macht der Vermögen zu beschränken. Dem
Versperren solcher Irrwege dienen derzeit die heimlichen
"MAI"-Verhandlungen in Paris. – Noch freilich
bleibt auch im nationalen Rahmen manches zu tun. Könnte
nicht zum Beispiel mehr Marktwirtschaft im Gesundheitswesen
durchaus zu noch effektiverer Kapitalbedienung durch Patienten,
Versicherte, Ärzte und Pflegepersonal verhelfen? Oder denken
wir ans Bildungswesen: Was hier noch alles an "Sparmaßnahmen"
möglich wäre!
Welch schillerndes Wort: Sparen!
Das macht reicher oder ärmer – je nachdem, ob man
reich oder arm ist. Den Gürtel enger zu schnallen, bedeutet
für die Vermögenden, daß sie dicker werden. Etwas
von den "sauer verdienten Ersparnissen" zur Erfüllung
von Gemeinschaftsaufgaben herzuleihen, ist offensichtlich eine
Leistung, die sich lohnt. Bei denen dagegen, die von der Hand in
den Mund leben, bedeutet Sparen, sich noch mehr abzuknapsen –
vor allem, wenn noch Kindermünder hinzukommen.
Kinder
schafft man sich heute freiwillig an, meinte Professor Peter
Bareis, Mitgestalter der Bonner Steuerreformpläne.
Konsequent fände er es eigentlich, für eine solche
Privatsache alle Beihilfen abzuschaffen. Ein rechter Neoliberaler
läßt mit dem Sozialismus auch gleich die Idee
untergehen, es gebe überhaupt so etwas wie Gesellschaft.
Schon das Wort Solidarität riecht ihm nach Ausbeutung der
Emsigen durch die Faulen. Weiß nicht jeder, daß er
alt und krank werden kann? Soll er also selber vorsorgen! Der
Staat soll sich da heraushalten. Er ist nur noch da, um den
Glauben an die Dreieinigkeit von Liberalisierung,
Privatisierung und Deregulierung institutionell zu
sichern.
Man kann sich denken, wer diese Ideologie
vertritt: Jene, die das Geld haben, das angeblich nicht da
ist. Deregulierung bedeutet ja nicht Regellosigkeit. Mit
Geld läßt sich alles regeln – und zwar so, daß
die, die wenig Geld haben, mithelfen müssen, es dort zu
vermehren, wo es schon ist. Lauter erfolgreiche Sparmaßnahmen,
gewissermaßen: So fallen täglich – täglich!
– an die zwei Milliarden Mark Erträge auf deutsche
Vermögen an. Selbst Bettler helfen da mit: Seit für
Almosen kein Lohn im Jenseits mehr erwartet wird, gibt die
Unsichtbare Hand für sie nichts her, doch darf nun
die Öffentliche Hand bei Reichen Geld leihen, um
Armen Sozialhilfe oder Wohngeld zu gewähren. So tragen, über
den öffentlichen Schuldendienst, sogar die Almosen auf
modernste Weise zur Kapitalbedienung bei.
Als der
Liberalismus entstand, lebte die Wirtschaft von Sklavenhaltung.
Auch der Neoliberalismus kommt nicht ohne sie aus. Nur hat die
Sklaverei eine höhere Organisationsform erreicht: Man muß
nun nicht mehr Menschen besitzen – igitt, das wäre
doch eklig – nein, es genügt die Aneignung ihrer
Lebensgrundlagen.
An der Wurzel liberaler Ethik lagen die
Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit, Grundlagen der Moderne.
Zwar wurde nie geklärt, wer eigentlich frei sein soll, aber
der Streit hat sich erledigt. Das freie Spiel der Kräfte
ergab: Freiheit für die Macht der Vermögen, sich
weltweit alle Freiräume und Lebensgrundlagen anzueignen! –
Was dann wohl Gerechtigkeit bedeuten mag? Chancengleichheit
natürlich! Jeder soll die Chance haben, anderen ihre Chancen
wegzunehmen! Wenn er die Macht dazu hat – also reich genug
ist...
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Gibt
es denn etwa eine Chance gegen die Macht der Vermögen?
Nehmen wir den Präsidenten beim Wort: Auch dieser
Besitzstand gehört auf den Prüfstand! Die Freiheit des
Geldes und des Eigentums ist es, die heute zunehmend alle
wesentlicheren menschlichen Freiheiten fesselt! Natürlichen
Strukturwandel nennt man das verschämt. Aber nicht ein
Naturgesetz legt uns diese Fesseln an. Sie liegen letztlich
allein in den Köpfen, in den Knoten lebensunfähig
gewordener Leitideen, in falschen Begriffen. Sobald die Mehrheit
das begreift, wird sie die Fessel abstreifen.
Gegen die
Macht aufstehen können nur jene, die nicht alle Kraft zum
Ringen um die bloße Existenz brauchen und die doch noch
etwas anderes im Kopf und im Herzen haben als die Gier, selbst zu
den Mächtigen zu gehören. Noch sind das bei uns viele,
und immer mehr von ihnen beginnen sich der Schlagworte der
Anführer zu schämen, weil deren innere Widersprüche
und Machtansprüche so schamlos offensichtlich werden. Ist es
vorstellbar, daß genügend viele ihre Fähigkeiten
nicht zum Gebrauch der Ellenbogen einsetzen wollen, sondern zum
Mittragen des Ganzen? Dann ergäbe sich schnell eine neue
"Meinungsführerschaft", und ein Wettlauf nach
lebensfähigeren gesellschaftlichen Leitbildern könnte
einsetzen.
Hier ist die Front, an der wir eine
Spitzenposition einnehmen sollten! Dazu verpflichten uns Europäer
das Verursacherprinzip und unsere freiheitliche Verfassung. Nur
in den reichen Ländern ist der Wandel ohne Gewalt möglich,
allein durch die Ausbreitung gesunden Menschenverstands, den auch
die Medien der Mächtigen nicht ganz zum Schweigen bringen
können. Weil es immer weniger sind, die fast alles besitzen,
wird das angeblich so unpopuläre Rütteln an
Besitzständen populär werden und hoffentlich auf dem
ganz normalen Wege demokratischer Gesetzgebung zu fundamentalem
Wandel führen.
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Es
ist wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleider. Die Ideen
des Liberalismus waren einst der geschichtlichen Situation
angemessen und durchaus kleidsam. Der Neoliberalismus aber ist
der letzte Versuch, die absurd gewordene, nackte Macht des Geldes
mit Ideologie zu verbrämen. Seine Verkünder werden sich
verschämt verkriechen, wenn Kinderfragen laut werden und in
Parteiprogramme und Wahlergebnisse eingehen. Und die Professoren
werden sagen, sie hätten schon immer die Nacktheit erkannt,
und nur nichts sagen wollen, weil es sich nicht ziemte.
Schon
höre ich die Kinderfragen. Mitten in eine
Ministerrede über den notwendigen Subventionsabbau und die
Verhinderung des Sozialhilfemißbrauchs platzen sie herein:
Müßtet ihr nicht vor allem aufhören, das
Kapital zu subventionieren? Macht nicht diese Sozialhilfe für
die wenigen Reichen zehnmal mehr aus als die Sozialhilfe für
die vielen Armen? – Da sind wohl die Milliarden
gemeint, die den Besitzenden täglich als "Vermögenserträge"
zugeschoben werden.
Nun ja, wie soll ein Kind das
Eigentumsrecht und die Berechtigung leistungsloser Einkommen aus
Zins und Zinseszins verstehen? Auch der Lehrer, der es an der
Hand hat, versteht das alles nicht und muß daher zu
moralischem Tadel greifen. Ich höre ihn etwas von Leistung
und Sozialneid murmeln. Aber das Kind will's einfach nicht
begreifen. Da ist es schon wieder, das Stimmchen: Warum sind
eigentlich die Reichen so neidisch auf die Armen? Warum gönnen
sie ihnen nicht einmal mehr Arbeitslosenunterstützung oder
Sozialhilfe, wenn sie doch selber ohne jede Leistung so viel mehr
geschenkt kriegen?
Gar nicht so leicht zu sagen, ob
das naiv klingt, oder frech... doch schon zeigen die Umstehenden
Wirkung. Allgemeines Gemurmel setzt ein, schwillt an, und nach
einem kurzen, chaotischen Selbstorganisationsprozeß erhebt
sich ein Sprechchor gegen den Redner auf dem Podium: Streift
die Fesseln ab! Weg mit der Sklaverei und der Macht des
Eigentums! Freiheit für die Menschen! Und dann: Wir
fordern gerechte Verteilung der leistungslosen Einkommen!
Herr
Präsident, was haben Sie angerichtet mit Ihrer Forderung
nach einer Vision!
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5.
Der siebte Tag
Nun muß es schnell
gehen. Die Zeit läuft ab. Aber worauf es ankommt, dürfte
jetzt klar sein: Die wesentliche Front unseres Zappelns muß
künftig in den seelisch-geistigen Fähigkeiten liegen –
und hierzu müssen wir uns endlich befreien. Das bedeutet die
Emanzipation von militärischer und wirtschaftlicher Macht,
wie auch vom Aberglauben, die Wissenschaft könne und müsse
an den Fronten früherer Schöpfungstage in Eile die Welt
verbessern. Weil ich selbst Naturwissenschaftler bin, kann ich
gerade am letzten Punkt nicht vorbeigehen: Die Biosphäre,
unser Leib und unser Hirn sind "sehr gut"; daß
die Menschennatur diese Wurzeln keineswegs zwangsläufig
vernichtet, ist aus der Kulturgeschichte abzulesen. Nur muß
nun die nächste große Kulturleistung gelingen, nämlich
dem "Großen und Schnellen" verfassungsmäßige
Schranken zu setzen. Innovation ist nur dort dringend, wo sie
dazu beiträgt, die schlimmsten Sünden der letzten
Jahrzehnte zu heilen. Wo weiteres "Durcheinanderwerfen"
droht, muß die eilige, globale Anwendung wissenschaftlicher
Erkenntnisse behindert werden.
Dies ist für viele
Wissenschaftler zunächst völlig unvorstellbar, weil ja
gerade für sie selbst das Voranstürmen mittels
"Schlüsseltechnologien und Durchbrüchen" zur
Lebensgrundlage und zur Quelle hohen gesellschaftlichen Ansehens
geworden ist. So findet in der Wissenschaft eine Auslese gegen
die Vernunft statt: Wer Bedenken hat, scheidet aus – und
das Rennen geht beschleunigt weiter. Die Einsicht, daß wir
– angesichts unserer Fähigkeit, völlig neue
Bereiche des Raums der Möglichkeiten zu erobern –
nicht nur fürs Vorhersehbare, sondern sogar fürs
Ungeahnte verantwortlich sind, dämmert auch manchen
Wissenschaftlern. Aber das hilft nichts, weil sofort
skrupellosere an ihre Stelle treten werden, solange nicht
gesellschaftliche Rahmenbedingungen dafür sorgen, daß
kindischer Größenwahn nicht mit Ruhm und Geld belohnt
wird.
Ist das zu abstrakt? Schauen wir Beispiele an:
Selbstverständlich gibt es im Raum der Möglichkeiten
praktisch unendlich viele chemische Verbindungen, die bisher auf
der Erde, oder gar im ganzen Universum, nicht verwirklicht wurden
– manche vielleicht in keinem einzigen Molekül. Und
"es gibt" unermeßlich viele Genkombinationen, die
vom Tasten des irdischen Lebens noch nie berührt wurden.
Viele dieser Möglichkeiten scheinen dem Menschen
Bequemlichkeit zu versprechen, also dem Produzenten Profit. Dann
sind sie unter den gegenwärtigen Bedingungen attraktiv.
Denken wir etwa an das Programm der "Chemieriesen"
Monsanto oder Farbwerke Hoechst, die Äcker der
Welt mit ihren Totalherbiziden "round-up" oder "Bravo"
zu überschütten, so daß nur noch genetisch
manipulierte, mit entsprechenden Resistenzgenen versehene
Kulturpflanzen gedeihen können. Welch phantastische
Einkommensquelle und globale Macht für die share-holder und
andere Geldgeber!
Weil von solchem Segen etwas auf die
beteiligten Wissenschaftler abfiele, reden sich einige von diesen
ein, die Sache werde wahrscheinlich gutgehen, wenn man nur guten
Willens und mit Vorsicht an sie herangehe. Und natürlich
kommen wahrscheinlich gerade jene an die Spitze entsprechender
Forschungsinstitute und in Kommissionen zur "Folgenabschätzung"
und zur Definition des "Standes von Wissenschaft und
Technik". Letzterer ist ja entscheidend für's
sogenannte Gewissen. Wenn nämlich nach Jahren oder
Jahrzehnten die Folgen des "Durcheinanderwerfens"
sichtbar werden, dann wird man sagen wollen: "Es war niemand
schuld, denn nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und
Technik war eine solche Entwicklung nicht vorhersehbar."
Diese
Ausrede ist schon bei der Meditation über 24 Punkte und ihre
verschiedenen möglichen Strichverbindungen als Lüge
oder als Zeichen von Schwachsinn zu erkennen. Nicht die geringste
Hoffnung ist gerechtfertigt, daß das Fortschreiten auf dem
mit chemischer und biologischer Großtechnik eingeschlagenen
Wege gutgehen könnte. Mit ein wenig Nachdenken über das
Wesen komplexer "Wertschöpfung" ist das so leicht
einzusehen, daß diese Art des Fortschritts abgebrochen
werden wird, sobald die Mehrheit ihre wirklichen Lebensgrundlagen
von den heutigen Eigentümern oder Besetzern zurückerobert
hat. Schon heute wären ja die dümmsten
Fehlentwicklungen mit einem simplen Gesetz über langjährige
Versicherungspflicht für etwaige Spätfolgen zu
stoppen.
An dieser Stelle der Diskussion bringen
interessierte Industrien und Wissenschaftler natürlich den
"Mythos vom Hunger" ins Spiel: Wenn wir nicht
risikofreudiger sind, hat die Menschheit keine Überlebenschance!
Aber das ist längst widerlegt. Nicht nur die berüchtigten
"grünen Spinner", sondern auch Forschergruppen der
amerikanischen Akademie der Wissenschaften haben in detaillierten
Studien gezeigt: Fast überall auf der Erde könnten die
Menschen sich auch heute und morgen mit ziemlich altmodischer
Landwirtschaft von Erträgen des eigenen Landes ernähren
– wobei freilich auch vielfältige, lokal angepaßte
Verbesserungen möglich sind, die keine Gefahren
heraufbeschwören würden.
Die Siegesmeldungen von
einer anderen Front, an der ständig Durchbrüche
gefeiert werden, sind nicht weniger voreilig: Auch die
Vorstellung, der Mensch gewinne wesentliches, wenn jeder mit
jedem jederzeit "kommunizieren" oder über
Datenautobahnen gewaltige Datenmengen beziehen oder
verteilen könnte, ist leicht als Wahn erkennbar.
Kommunikation setzt Gemeinsamkeit voraus, doch diese wachst
ähnlich langsam wie die Persönlichkeit selbst. Beim
Versuch eiliger Erweiterung kann nur Einfalt entstehen. Die
Überschwemmung mit sogenannter Information bedeutet vor
allem "Innenweltverschmutzung". Datenübermittlung
und Information sind nämlich ganz verschiedene Dinge –
wie schon Joseph Weizenbaum oft betont hat. Information
entsteht erst durch "Verarbeitung" – also das
Abtasten und Bewerten der "Daten" im komplexen
Zusammenhang. Der Versuch, diesen Prozeß im Menschen über
das ihm evolutionär mitgegebene Maß hinaus wesentlich
zu erweitern und zu beschleunigen, führt zwangsläufig
zu seiner Degradierung und Simplifizierung – wie schon in
der modernen Sprachentwicklung deutlich wird, die eng mit dem
gesamten "Innenleben" gekoppelt ist.
Die Vision,
nun werde eben der Computer weitgehend an die Stelle des Menschen
treten, entspringt einem kindischen Mißverständnis
darüber, was Komplexität bedeutet und wie sie entstehen
und reproduziert werden kann. Wo die Simplifizierung und
"Vermüllung" des Innenlebens und der
zwischenmenschlichen Beziehungen noch nicht zu weit
fortgeschritten ist, da ist deshalb auch die Erfahrung durchaus
lebendig, daß wir die Krone der Schöpfung sind
– gerade wegen unserer nicht "wissenschaftlich
faßbaren" Fähigkeiten, wie jener zu "Glaube,
Hoffnung und Liebe". Der meiste Zivilisationsplunder ist
dagegen läppisch – komplizierter Müll anstelle
lebensfähiger Komplexität.
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"Aber
die Menschen wollen das nun einmal. Wir leben schließlich
in einer Demokratie", heißt es dann. Hierzulande
sollte wohl dieses Argument nicht mehr genügen, um die Suche
nach lebensfähigeren Ideen zu verteufeln. Natürlich
kommen große Instabilitäten genau dadurch zustande,
daß sich ihnen die Mehrheit anschließt. Am
Höhepunkt der globalen Beschleunigungskrise ist es also eine
triviale Selbstverständlichkeit, daß "die
Mehrheit unrecht hat". Aber das ist nicht ein Fehler der
Mehrheit, sondern der Anführer, die auf dem attraktiven "Weg
zur Hölle" an die Spitze drängen. So kulturbedingt
aller menschliche Geist ist, das Fortschreiten der Kultur
geht von Individuen aus. Nur das geistige Zappeln einzelner am
Rande des Heerzuges bietet eine Chance, bessere Ideen zu finden –
die dann freilich auch für die Mehrheit attraktiv werden
müssen.
Fast alle Menschen haben das Zeug, fröhlich
zu sein, zu lieben und sich auch über das Glück ihrer
Nächsten und aller Mitgeschöpfe zu freuen. Dies ist es,
was ihnen am "siebten Tag" zusteht und was die Weisen
meinten, wenn sie sagten, wir sollten "Gott loben". Der
Drang zu Macht und Ausbeutung nimmt erst überhand, wenn die
Freiräume für diese eigentlich menschlichsten
Fähigkeiten verloren gehen – das ist unter den
Bedingungen von Not und Unterdrückung. Dann setzt ein
"Teufelskreis" ein – die abwärts führende
Spirale der Konkurrenz um Lebensgrundlagen. Wer nicht in der
Spitzengruppe ist, geht unter ... – einst im
bewaffneten, jetzt vor allem im wirtschaftlichen Eroberungskrieg.
Wir können nur überleben, wenn wir mit gezielten
Exportoffensiven neue Märkte erobern und gegen die wachsende
Konkurrenz verteidigen. – Glauben Sie das?
Wie
jahrhundertelang der Krieg um Territorien und
Tributpflichtigkeit, sind auch Überbetonung und Mißbrauch
von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik Teil des Teufelskreises:
Weil "harmlosere" Lebensmöglichkeiten besetzt oder
versperrt werden, geraten immer mehr Menschen auf die Straße
dieses Fortschritts und sind dort noch leichter auszubeuten. Ein
Ausweg aus der Spirale war vor dem Höhepunkt der globalen
Beschleunigungskrise nicht zugänglich. Nun aber zeichnet
sich ab, daß bei fortschreitender Aufklärung die
Völker der Welt aus Einsicht ins Wesen der Krise gemeinsam
eine Verfassung finden könnten, in der Krieg und Ausbeutung
unerreichbar werden.
Kann sich der Mensch endlich von den
Zwängen und Abhängigkeiten befreien, die ihn von dem
abhalten, was er am siebten Tag tun kann, ohne die bisherige
Schöpfung – einschließlich seiner selbst –
zu gefährden? Die Frage spitzt sich heute auf einen
"Knackpunkt" zu: Läßt sich auch die
modernere Form der Sklaverei abschaffen – nämlich das
Eigentum an den Lebensgrundlagen anderer? Kurz: Läßt
sich die Marktwirtschaft vom Kapitalismus befreien?
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Naheliegend
ist das radikale Ausweichen mancher religiöser oder
esoterischer Lehren: Weil unser eigentliches Wesen in unserer
Spiritualität liegt, komme es auf so "weltliche"
Dinge wie Politik gar nicht an. Warum also über die
Gesellschaft nachdenken? Aber auch die "Materialisten"
landen meist bei der Aussage, man müsse "dem Kaiser
geben, was des Kaisers ist" – weil sie dazu neigen,
diesen Zwang unerbittlichen Naturgesetzen zuzuschreiben.
Resignation vor dem Wirrwarr politischer Ideen treibt auch
Skeptiker in diese Richtung des laisser-faire, und sogar
das Ideal der Jugend, die extreme Individualisierung (– freilich
selbst ein intellektuelles Phänomen –) führt
dorthin: Das beliebte: Was kann schon der einzelne tun?
ist sehr förderlich fürs "Teile und herrsche"
der Mächtigen. Es dient der Unterdrückung besserer
Ideen so gut wie das "Gott hat gesagt". Jetzt
allerdings, angesichts immer absurderer Erscheinungen auf den
sogenannten freien Märkten, beginnen die Stimmung und die
veröffentlichte Meinung in die Gegenrichtung umzuschlagen.
Sogar ein Wort dafür hat sich zur rechten Zeit eingestellt:
Kommunitarismus. Man wagt wieder zu denken: Es gibt
so etwas wie gemeinsame Ziele und Aufgaben.
Lange hatte
kaum jemand zu hoffen gewagt, daß eine Diskussion über
fundamentale Mängel unserer Grundordnung bald wieder in Gang
kommen könnte. Sogar das Ende der Geschichte wurde
verkündet. Selbst Menschen, die den Untergang bei
Fortsetzung der gegenwärtigen Trends klar vor sich sahen,
glaubten nicht an die Möglichkeit, daß etwa die
ökologischen Untergangssymptome die Menschheit noch
rechtzeitig zur Umkehr bewegen und auf verläßlichere
Wege bringen könnten. Der Soziologe Ulrich Beck
meinte einmal, eine Revolution sei nicht zu erwarten, da es kein
"Ökologisches Proletariat" gebe. Oh doch, das gibt
es! Trotz Fernsehen und Bildungsbürokratie ist der
menschliche Geist nicht ausgerottet, und er leidet! Weltweit
begannen Denkende und Fühlende schon lange, sich als eine
Art von Proletariat zu sehen, das sich gegen die Entrechtung und
Ausbeutung durch globale Wirtschaftsmacht,
pseudowissenschaftlichen Größenwahn und mediale
Verblödung würde vereinigen müssen. Nun wird
dieser Prozeß durch die wirtschaftlichen Absurditäten
beschleunigt, weil sogar in den "führenden Ländern"
bereits die Mehrheit von diesen betroffen ist.
Wenn die
Mehrheit zu kippen beginnt, arbeiten natürlich die
"Investoren" daran, die politischen Entscheidungen von
gewählten Parlamenten auf erlesene Expertenkommissionen zu
verlagern. Aber die Idee der Demokratie ist in den führenden
Ländern noch verankert, und so besteht die Chance, daß
die notwendige Revolution gewaltlos, allein durch Ausbreitung
besserer Ideen und entsprechenden Bewußtseinswandel
geschieht. Sichtbar werden wird dieser Prozeß, wie jeder
phasenübergangsartige Selbstorganisationsprozeß,
zunächst in Keimzellen. Noch ist auch Deutschland frei, zu
einem solchen Ausgangspunkt globalen Wandels zu werden. Die
geschichtlichen Voraussetzungen sind hier besser als an vielen
anderen Stellen. Vielleicht aber wird das Umkippen der
öffentlichen Meinung sogar in ganz Europa fast gleichzeitig
einsetzen.
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Warum
sollte die Abschaffung des militärischen, wirtschaftlichen
und wissenschaftlich-technischen Imperialismus, sozusagen der
Friede des siebten Tages, jetzt erreichbar werden, wenn doch seit
Jahrtausenden jeder Versuch, ihn irgendwo zu sichern, mit Gewalt
hinweggefegt wurde? Fromme oder aufgeklärte Prediger konnten
trotz starker gesellschaftlicher Bewegungen wenig bewirken, weil
der selektive Vorteil des Großen und Schnellen nicht durch
lokale Organisation zu beseitigen war. Immanuel Kants Schau eines
dauerhaften Friedens etwa war gesellschaftlich bisher so wenig
verwirklichbar wie Jesu Rat, dem Angreifer die andere Wange
hinzuhalten. Wer nicht kämpfte, ging unter. Erst die
schnelle globale Wechselwirkung am Höhepunkt der Krise
schafft nun auch die Mittel zu deren Überwindung. Da helfen
also sogar die Datenautobahnen mit. Binnen einer
Generation wird die Mehrheit überall erkennen, warum es mit
Menschheit und Biosphäre abwärts geht – und wie
der Absturz doch noch zu verhindern ist. Erst jetzt kann mit dem
Willen auch Handlungsfähigkeit erwachsen.
Innerer
Widerstand gegen zerstörerische Macht regt sich oft zunächst
in Frauen. Natürlich schallt heute sogar angesehenen Frauen
wie Viviane Forrester oder Marion Dönhoff, die ihre Stimme
gegen die "Unmoral" des Kapitalismus erheben, sogleich
entgegen: Deine Skrupel und dein Gerechtigkeitsgefühl in
Ehren – aber du verstehst eben nichts von der Wirtschaft!
Du lebst in einer Traumwelt – wie vor hundert Jahren Bertha
von Suttner mit ihrem Ruf Die Waffen nieder! ... sie
verstand eben nichts von Strategie und Taktik der Kriegskunst.
Aber siehe da: Je näher die Wirklichkeit an die Abgründe
rückt, um so näher kommt sie auch jener "Traumwelt".
An gemeinsamer Abschaffung des Krieges wird immerhin schon ein
bißchen gearbeitet – und auch das Ende der Ausbeutung
wird praktisch vorstellbar. Wo der Wille einer Mehrheit hierfür
Institutionen schaffen und sichern könnte, da beginnt das
Gerede von der Utopie plötzlich zu klingen, als werfe man
einem Vegetarier vor: Du verstehst eben nichts von
fachgerechter Metzgerei.
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Vegetarier
zu werden ist nicht schwer, da die meisten Fleischfresser keine
Vegetarier fressen. Dagegen erfordert der Übergang zur
pazifistischen Weltgesellschaft natürlich Institutionen
gegen Aggressoren. Wie die Arbeit hieran von Keimzellen ausgehen
könnte, in denen die nationale Rüstung zunächst
auf "strukturelle Nichtangriffsfähigkeit"
gegenüber den Nachbarn umgestellt wird, ist schon vielfach
bedacht worden. Übernahme solcher Konzepte in Zusammenarbeit
größerer Regionen wird schließlich zu einer Welt
relativ kleiner Nationen führen, die alle gemeinsam ihren
unabhängigen Bestand garantieren und durch regionale und
weltweite "Einsatztruppen" jegliche Machtübernahme
von außen oder innen verhindern. Nationale Streitkräfte
wird es dann so wenig geben, wie es bei uns Maschinengewehre für
den Schutz des eigenen Gartens gibt.
Die politische
Verfassung derart weiterentwickelter Vereinter Nationen
wird den Weltfrieden sichern und auch die innere politische
Entartung der Mitglieder verhindern. Die Weltverfassung wird also
auch einzelnen und Gruppen gewisse Grundrechte garantieren –
wie die Menschenrechte und einige Minimalregeln zur Sicherung
dezentraler Demokratie. Darüber hinaus aber wird die
Vereinheitlichung nicht wachsen, sondern wieder abnehmen. Große
Länder werden wieder mehr föderale Strukturen
entwickeln, vor allem auch dort, wo ohnehin noch ethnische und
sprachliche Eigenheiten lebendig sind oder wiederbelebt werden
können. Wo Macht über Nachbarn oder eigene Minderheiten
verfassungsmäßig ausgeschlossen ist, erlischt zwar die
Konkurrenz um Macht, aber nicht etwa der Drang nach Abgrenzung.
Auch in Familien geht es doch nicht darum, etwa sämtliche
Individuen zu einem einzigen Organismus zu verschmelzen. Die
Vielfalt ist ja, wie wir sahen, schon systemtheoretisch gesehen
Grundvoraussetzung allen evolutionären Fortschritts. Und
gesunder Nationalstolz ist keineswegs etwas unerfreuliches, wenn
er sich nicht gegen andere richten kann – und wenn er, wie
der Stolz des seelisch gesunden Individuums, im rechten
Gleichgewicht mit angemessener Scham steht.
Die Idee einer
"multikulturellen globalen Einheitsgesellschaft" ist
ein Widerspruch in sich. Kultur entsteht und bewahrt sich gerade
durch Abgrenzung. Richtig: Ihr allmählicher Fortschritt
geschieht vor allem durch die Wechselwirkung mit anderen entlang
den Grenzen und in gewissen regionalen Zentren, in denen sich
Kulturen begegnen und auch ein wenig mischen. Aber diese
Vermischung muß aufs Ganze gesehen langsam im Vergleich zum
Menschenleben geschehen. Daraus folgen zum Beispiel allgemeine
Verfassungsregeln für die nationale Einwanderungspolitik der
Mitglieder einer künftigen Weltgesellschaft. Es gehört
zu den wesentlichen Bildungszielen des kommenden Jahrhunderts,
bezüglich solcher Fragen das ideologische Chaos in den
Köpfen durch ein logisches Fundament zu ersetzen. Wie bei
allen kritischen Fragen unserer Zeit geht es hier nicht um
"Meinungsstreit" angesichts einer Menge beliebiger
Möglichkeiten, sondern ums Tasten nach Leitideen, die
zunächst wenigstens die logischen Voraussetzungen von
Lebensfähigkeit erfüllen.
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Es
mag zunächst lächerlich erscheinen, wenn ich behaupte,
aus allgemeinen Gedanken über "Schöpfungsprinzip
und globale Beschleunigungskrise", folge auch etwas über
die Wirtschaftsordnung, über das Geld- und Eigentumsrecht,
das Steuer- und Rentensystem und sogar über das
Bildungswesen des 21. Jahrhunderts. Zumal wenn doch, was daraus
folgte, so offensichtlich den herrschenden Gewohnheiten und
Sachzwängen zuwiderliefe. Aber was sagt uns die Logik, wenn
wir auf einem immer steiler werdenden Hang auf einen Abgrund zu
ins Rennen geraten sind? Immer regelmäßiger, immer
schneller die Beine bewegen, um nicht ins Stolpern zu kommen?
Welch ein Glück, wenn wir doch noch rechtzeitig stolpern und
auf die Nase fallen! Gott sei Dank – die sogenannte
Wirtschaft und die Finanzpolitik scheinen das nun für uns zu
leisten, und noch finden sich ringsherum Wurzeln, an denen wir
uns festklammern können. Rettende Ideen sind ganz nahe –
und zwar nicht in den Köpfen weltfremder oder gewaltbereiter
Spinner, sondern im Kern der Programme aller unserer politischen
Parteien. Deshalb dürfen wir wohl selbst am Rande des
Abgrunds guten Mutes sein, daß wir wieder werden
hochklettern können.
Praktische politische Arbeit
setzt die Kenntnis einer Farbenlehre voraus. Schauen wir also das
Parteienspektrum an.
— Was ist der Kern der roten
Ideen? Daß alle Menschen von Unterdrückung durch
andere frei sein sollen; daß auch das Herausragen –
durch Willenskraft, in geistigen Fähigkeiten, oder gar mit
den Ellenbogen – kein Recht zur Versklavung und Ausbeutung
anderer verschafft; daß aber die Befreiung nicht durch den
Kampf einzelner, sondern durch Solidarität gewonnen
werden muß.
— Näher zur Mitte des
Spektrums hin wird das Rot zu Orange, und dieses
geht ins Gelbe über. Was ist der Kern der gelben
Ideen? Die Freiheit des Unternehmers! Zur geistigen Freiheit
gehört auch wirtschaftliche Freiheit. Auch für
materielle Güter soll es einen freien Markt geben, auf dem
jeder nach seinen Bedürfnissen und Vorlieben wählen
kann, und auch wenn Menschen einander Dienste leisten wollen und
können, so sollen nicht andere dies verordnen oder
verhindern. Ohne das Zappeln in Vielfalt geht die
Aufstiegswahrscheinlichkeit gegen Null!
— Weiter zum
Grünen: Daß es zum Roten komplementär ist,
bedeutet bekanntlich nicht Gegensatz, sondern Ergänzung. Die
noch junge grüne Bewegung entsprang der Einsicht, daß
die Freiheit des Menschen seine eigenen Wurzeln, nämlich die
ganze Biosphäre bedroht. Dies war zwar schon lange zu ahnen,
aber erst nahe dem Höhepunkt der globalen
Beschleunigungskrise konnte es für die Mehrheit manifest
werden. So stehen die Grünen nun wohl zurecht in der Mitte
des Spektrums, und längst bedienen sich alle anderen bei
ihren Ideen.
— Die Blauen sind in der
deutschen Politik als Organisation noch recht unscheinbar. Die
"Ökologischen Demokraten" haben sich diese Farbe
gewählt – wohl um sich vom allzu weltlichen Grün
zum priesterlichen Violett hin abzusetzen, oder um auszudrücken,
daß das Gelbe ohne sein Komplement reiner Neid wäre –
jener schon erwähnte Neid der Reichen auf die Armen
und die zugehörige rücksichtslose Gier.
—
Das Violette, das für die Betonung des Spirituellen
steht, wird in unserem politischen Spektrum übersprungen,
wobei man bekanntlich im unsichtbaren Bereich landet, also im
Schwarzen. Die violette Ahnung, daß der Aufstieg des
siebten Tages an der spezifisch menschlichen Front in der
"geistigen Welt", also letztlich im "Gespräch
mit Gott" gefunden wird, spielt bei den Schwarzen wohl nur
noch in den Parteinamen eine Rolle. Im Übrigen steht Schwarz
eher für die vollständige Unsichtbarkeit irgendwelcher
Ideen und für den reinen Willen zur Macht.
—
Andererseits schließen sich ja die Farben des Regenbogens
für unsere Wahrnehmung im Kreise – und so steht das
Violette durchaus dem Roten nahe. Woraus entspringt denn
letztlich die rote "Gleichmacherei"? Aus der Einsicht,
daß der siebte Tag auch in der Gesellschaftspolitik
angebrochen ist. Wenn an der neuen Front, an der die Schöpfung
zu Höherem fortschreitet, "vor Gott alle gleich sind",
wie man sagt, so bedeutet das selbstverständlich, daß
die Lebensgrundlagen, um die an früheren Schöpfungstagen
gerungen werden mußte, nun von allen gemeinsam gesichert
werden sollen. Nur dann nämlich ist der Mensch wirklich frei
zur Entfaltung seiner höheren Fähigkeiten. Wie
verschieden weit diese Fähigkeiten bei verschiedenen
Menschen auch immer reichen mögen, sie dürfen nicht
andere in dieser Freiheit behindern oder gar deren Versklavung
durch Aneignung ihrer Lebensgrundlagen ermöglichen. Zu
diesen lila-roten Ideen gehört also auch, daß der
"Arme im Geiste", der pflegebedürftige Kranke, und
selbstverständlich auch der "Seelenpflegebedürftige"
vor Gott nicht tiefer steht. Auch er muß an der Sicherung
der Lebensgrundlagen teilhaben.
— Um die Farbenlehre
abzuschließen: Braun ist keine Farbe des Regenbogens
und wird im neuen Bund der Ideen nicht vorkommen. Seine
Attraktivität hatte aber natürlich damit zu tun, daß
im faschistischen Ideenbündel auch Strähnen schöner
Farben eingeflochten waren – freilich teuflisch verknotet,
um die Macht der Finsternis zu verbrämen. Dieser Mißbrauch
sollte nun aber nicht dazu führen, daß die Idee des
Nationalen verteufelt wird. Das Volk, definiert vor allem
durch eigene Sprache und Kulturgeschichte, wird in der neuen
Weltordnung – mehr sogar als in der kapitalistischen –
durchaus eine wesentliche Rolle spielen.
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Die
politische und kulturelle Vielfalt der Menschheit setzt voraus,
daß die wirtschaftliche Verflechtung drastisch reduziert
wird. Dies ist angesichts der künftigen Fähigkeit, alle
wesentlichen Bedürfnisse mit relativ wenig Arbeit lokal
abzudecken, eigentlich eine logische Selbstverständlichkeit.
Die Übertreibung des Welthandels, und gar der
internationalen Finanzmärkte, dient fast ausschließlich
den Ausbeutungsstrategien des Kapitals, der Aneignung der
Lebensgrundlagen von noch mehr Armen durch noch weniger Reiche.
Angesichts der heutigen Entwicklungen noch immer Ricardos
simple Beispiele für "rationelleres"
Wirtschaften in internationaler Arbeitsteilung heranzuziehen, um
weitere Globalisierung zu empfehlen, ist unverschämt oder
einfach lächerlich. Auch wer den systemtheoretischen
Hintergrund des Wesens der Krise noch nicht versteht, muß
doch beim Anschauen der Welt wenigstens die offensichtlichen
inneren Widersprüche der alten Lehren wahrgenommen
haben.
Der Ausstieg aus dem globalen Wirtschaftskrieg
erscheint heute den Wirtschaftsfachleuten als ebenso unmöglich,
wie vor hundert Jahren den Generalen ein Ausstieg aus der Rüstung
zum ersten Weltkrieg. Der Schritt zum Nachdenken über eigene
"strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" – als
erste Stufe zur Organisation allgemeinen Friedens –
brauchte fast hundert Jahre. Die allgemeine Beschleunigung macht
es nun absehbar, daß bald an besonderen Engstellen die Idee
einer "strukturellen Nichtausbeutungsfähigkeit"
(nach innen und außen) aufkeimt und sich dann sehr viel
schneller ausbreitet.
Wie und wo das geschehen könnte?
Über die Details eines so komplexen "Phasenübergangs"
kann man schlecht plausibel spekulieren. Das Muster aber, dem das
Ganze zustreben und in das es schließlich "umkippen"
wird, beginnt sich bereits abzuzeichnen. Es enthält
sämtliche Farben unseres politischen Spektrums in ziemlich
ausgewogener Mischung. Herausleuchtend ist allerdings das Orange
– jener Übergang zwischen Rot und Gelb, der an die
Ideen gewaltloser Anarchisten erinnert (– nicht an
deren schwarze Fahne). Recht verstanden bedeutet ja deren
"Herrschaftslosigkeit" nicht etwa Chaos, sondern
solidarische Selbstorganisation der Freiheit aller gegen
staatliche und wirtschaftliche Macht – also genau das, was
ich hier "Freiheit des siebten Tages" nenne. Von Hörern
meiner Vorträge habe ich gelernt, daß Piotr Kropotkin
und Gustav Landauer offenbar auf sehr ähnliche Spuren
geraten waren wie ich. Erstaunlich wäre das nicht, denn um
diese Freiheit ringen Menschen seit mehr als zwei Jahrtausenden.
Freilich ist erst in den fast 80 Jahren seit der Ermordung
Landauers (im Münchener Gefängnis) die globale
Beschleunigungskrise in ihr Endstadium getreten, und so ist
sicherlich über alle Details neu nachzudenken.
Hier
kann ich nur kurz andeuten, wie wir uns einige wesentliche Züge
der vom Kapitalismus befreiten Gesellschaft vorstellen könnten
– vor allem das Steuersystem und die gerechte Verteilung
der "leistungslosen Einkommen".
Gemeinschaftsaufgaben
werden in fünfzig Jahren nicht mehr aus der Besteuerung
sinnvoller und erwünschter Tätigkeiten finanziert
werden, sondern allein aus Steuern schädlicher Aktivitäten
– das heißt solche, die von der Mehrheit als
schädlich erkannt sind. Fast alle heutigen Steuern für
Bund, Länder und Kommunen sind dann weggefallen. Die
Steuerformen, die an ihre Stelle treten, nenne ich gern
Minderwertsteuer und Größenbegrenzungssteuer.
Die Minderwertsteuer trifft alle nicht erneuerbaren Formen von
Energie und Rohstoffen bei der Entnahme aus der Erde oder bei der
Einfuhr, und darüber hinaus zum Beispiel alle Verarbeitungs-
und Entsorgungsprozesse, bei denen Schadstoffe freigesetzt
werden. Man könnte diese Steuer aufs "Durcheinanderwerfen
der Biosphäre" auch als "Entropiesteuer"
bezeichnen. (Auf Englisch käme in Anlehnung an den Namen VAT
der Mehrwertsteuer – für value added tax –
etwa die Bezeichnung TAT – für trashiness added tax
– infrage...)
Gegen eine solche Besteuerungsform,
die ja als "Ökosteuer" schon lange im Gespräch
ist, wird noch immer mit absurden Argumenten polemisiert. Man muß
aber nur eine einzige Zahl anschauen, um die Vernunft und das
ungeheure Steuerungspotential in diesem Konzept zu erkennen.
Fragen wir doch: Wie hoch müßte eine reine
Energiesteuer sein, wenn sie sämtliche heutigen
Steuereinnahmen ersetzen sollte? Das ist leicht auszurechnen: Der
durchschnittliche deutsche Primärenergieverbrauch liegt nahe
5,5 Kilowatt pro Einwohner, das heißt ein wenig unter
50.000 Kilowattstunden pro Kopf und Jahr. Um das gesamte
Steueraufkommen von etwa dreiviertel Billionen Mark zu ersetzen,
müßten also nur etwa 20 Pfennig Steuer pro
Kilowattstunde Primärenergie erhoben werden. Das würde
etwa 60 Pfennig Steuer pro Kilowattstunde elektrischen Stroms und
etwas über zwei Mark pro Liter Öl bedeuten. Könnte
das wirklich "die Wirtschaft ruinieren", wenn doch
dafür alle anderen Steuern wegfielen?
Natürlich
würde eine solche Steuer nicht über Nacht eingeführt,
sondern schrittweise. Dann würde die Verbrennung von Kohle,
Öl und Gas allmählich zurückgedrängt. Das
wäre ja der Sinn der Sache, denn die nächsten beiden
Generationen müssen es schaffen, den heutigen Verbrauch an
fossilen Energieträgern praktisch vollständig durch
Sonnenenergie zu ersetzen (wozu im weiteren Sinne auch Wasser-
und Windenergie gehören). Man würde also die Höhe
der Steuer auf fossile Energie mit dem sinkenden Verbrauch
steigen lassen, bis dieses Ziel erreicht ist. Danach würde
aber nicht etwa Mangel an Besteuerungsgrundlagen herrschen, denn
auch alle anderen frisch entnommenen Rohstoffe (einschließlich
des Grundwassers) und viele industrielle Prozesse würden ja
besteuert. Die katastrophale Entropieerzeugung durch den Menschen
wird noch auf sehr lange Sicht ständig weiter reduziert
werden müssen, um die Biosphäre zu schonen. Eine
regelmäßige Anpassung des "Entropiesteuersatzes"
an die jeweils nötigen und möglichen
Reduktionsstrategien ist das einzig logische Mittel, um eine
entsprechende Entwicklung von Techniken und Lebensgewohnheiten zu
bewirken.
Der zweite Hauptteil der künftigen
Steuerbasis ist ebenfalls leicht zu begründen. Wie wir
sahen, muß der selektive Vorteil der Organisation im Großen
und der schnellen globalen Innovation beschränkt werden, um
auf der endlichen Erde "Vielfalt und Gemächlichkeit"
zu sichern – jene logischen Voraussetzungen wirklicher
Wertschöpfung. Die einzig notwendige Organisation im Großen
ist also die Schaffung und Sicherung der globalen Verfassung mit
eben diesem Ziel. Dagegen wird das ständige Anwachsen
wirtschaftlicher Machtstrukturen grundsätzlich zu behindern
sein, wo dies nach Abschaffung des leistungslosen
Vermögenswachstums noch nötig ist. Solche
Größenbeschränkung wird sich mit relativ wenig
Bürokratie erreichen lassen, wenn Steuern auf die Größe
von Unternehmen und Eigentum und die Menge gewisser Produkte
erhoben werden, die jenseits spezifischer Freigrenzen mit einer
rasch steiler werdenden Funktion gewisser Größenmerkmale
anwachsen. Anschauliche Beispiele: Die Besteuerung wächst
mit dem Quadrat der Zahl der Betten eines Hotels oder der Zahl
der Läden in einer "Ladenkette" – oder
exponentiell mit der Einschaltquote einer Fernsehsendung, oder
mit der Anzahl von Häusern oder dem Wert von
Produktionsmitteln im Besitz einer Person oder Personengruppe.
Das hört sich kompliziert an, wäre aber wahrscheinlich
noch immer mit wesentlich weniger bürokratischem Aufwand
verbunden, als das heutige Steuersystem.
Bei Aktivitäten
mit besonders schädlichen Folgen ist natürlich ein
vollständiges Verbot angebracht, doch wo es um die Steuerung
angepaßter Reduktionsstrategien für zerstörerisches
Handeln oder Machtkonzentrationen geht, die nicht einfach sofort
abgeschafft werden können, sind Minderwertsteuer und
Größenbegrenzungssteuer vermutlich die geeigneteren
Mittel. Eine Änderung der Besteuerungsparameter sollte dabei
im allgemeinen nur allmählich, in voraussehbaren Schritten
über Jahre hinweg erfolgen.
Da die moderne
Gesellschaft so schrecklich viel Schaden anrichtet, wird es wohl
zweckmäßig sein, die gesamte Steuerlast nach diesen
Prinzipien noch höher anzusetzen als die heutigen
Steuereinnahmen. So könnten die menschliche Arbeit von allen
"Sozialabgaben" entlastet und die Lebensgrundlagen
aller allein durch Besteuerung der Dummheiten der ganzen
Gesellschaft finanziert werden.
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Nun
zum Umgang mit den "leistungslosen Einkommen". Wenn
solche möglich sind, stellen sie natürlich eine
gemeinsame Kulturleistung dar und sollten deshalb dazu dienen,
die Grundbedürfnisse aller Bürger zu decken – vor
allem zunächst die der Kinder, Kranken und Alten. Was die
Gesellschaft heute durch die sogenannte Kapitalbedienung in Form
von Zinsen und anderen Erträgen als "Sozialhilfe für
die Reichen" aufbringt, um deren Vermögen wachsen zu
lassen, das sollte also den Grundstock eines "Bürgergeldes"
bilden. Die Summe all dieser leistungslosen Einkommen ist nicht
einmal den Finanzspezialisten recht bekannt, aber sie dürfte
heute in Deutschland in der Nähe des gesamten
Steueraufkommens liegen. Dieses entspricht pro Kopf fast
zehntausend Mark jährlich, also an die zweitausend Mark
monatlich pro bezahlten Arbeitsplatz. Über diese Art von
"Beschäftigungsnebenkosten", die – von der
Miete bis zur Bedienung der Staatsverschuldung – in jeder
Zahlung versteckt sind und beim zunehmenden Abwürgen unserer
Wirtschaft die weitaus wichtigste Rolle spielen, wagt noch immer
kaum jemand zu sprechen.
Diese gewaltigen
gesellschaftlichen Leistungen den Reichen zu entziehen und statt
dessen der Allgemeinheit zukommen zu lassen, erfordert natürlich
eine drastische Änderung des Geld- und Bodenrechts und des
verfassungsmäßigen Eigentumsrechts überhaupt –
auch schon im Zusammenhang mit der Größenbegrenzungssteuer.
Ein neues Eigentumsrecht wird also erst verwirklichbar, wenn
mindestens zwei Drittel der Bevölkerung verstanden haben,
welche Vorteile daraus für sie selbst und das Ganze
erwachsen werden. Dieses Verständnis wird aber vermutlich
demnächst rasch zunehmen, weil immer absurdere und
schemenhaftere wirtschaftliche Phänomene erkennen lassen,
daß die Leitideen der kapitalistischen Ordnung nicht durch
die Krise hindurchführen, sondern in inneren Widersprüchen
enden.
Dagegen sind die Alternativen im Grundsatz so
einleuchtend und schon für den "gesunden
Menschenverstand" so offensichtlich lebens- und
entwicklungsfähig, daß man bald bereit sein wird, die
Verfassung zu ändern, um jene verfassungsmäßigen
Zwänge zu beseitigen, die heute Natur und Menschen an die
abwärts führende Spirale fesseln. Immer mehr Leute aus
verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen beginnen, nach den
tieferen Gründen unseres Versagens vor den wichtigsten
Problemen zu fragen. Und bald wird die "Macht des Geldes"
nicht mehr ausreichen, um politische Wirkungen dieses Fragens zu
verhindern.
Die detaillierte Diskussion der nötigen
Änderungen im Geld- und Eigentumsrecht, die naturgemäß
heute noch aus der sogenannten Wirtschaftswissenschaft verbannt
ist, hat längst begonnen. Eine wichtige Idee ist
wahrscheinlich die eines "neutralen Geldes", das sich
nicht schon durchs "Haben" vermehren kann, das aber
durch eine in die Geldordnung eingebaute Umlaufsicherung um so
besser seine eigentliche Aufgabe erfüllt – nämlich
die Erleichterung des Austauschs von Waren und Dienstleistungen.
Auch im Umkreis der vielen entstehenden "Tauschringe"
(auch LETS genannt – für local exchange trading
systems) beginnt systematischeres Nachdenken über
fundamentale Mängel der heutigen Geldordnung. Gerade hier
liegt ja die Frage besonders nahe, warum eigentlich immer, wenn
zwei Menschen etwas füreinander tun wollen, bei anonymen
Dritten ein Konto wachsen muß.
Die damit
zusammenhängende Diskussion über Zins und Zinseszins,
die ja mindestens seit Moses dokumentiert ist, wurde im
zwanzigsten Jahrhundert vor allem von den sogenannten
"Freiwirtschaftlern" weitergeführt. Dabei war
stets klar, daß Änderungen in der Geldordnung allein
nicht ausreichen können, um die Aneignung fremder
Lebensgrundlagen und die darin liegende "Fortsetzung der
Sklaverei" zu beschränken. So schlug einer der Vater
der Freiwirtschaft, Silvio Gesell, bereits vor hundert
Jahren vor, die reine Bodenrente zu kommunalisieren und allen
Kindern des Landes zukommen zu lassen. Es widerspricht ja schon
lange jeder Vernunft, daß sich eine Minderheit immer mehr
von der Erde aneignen darf – obendrein zunehmend aus
leistungslosen Einkommen und "Wettgewinnen". Die in
dieser Beziehung bei uns erfolgreich geschürte
Begriffsverwirrung hatte Klaus Staeck einmal mit einem
schönen Wahlplakat satirisch aufgespießt: Deutscher
Arbeiter! Die SPD will Dir Dein Häuschen im Tessin
wegnehmen!
Großer Widerstand gegen Änderungen
wirtschaftlicher Grundstrukturen wird natürlich aus den
Zwängen infolge internationaler Verflechtungen erwachsen.
Ein Land, das zur Keimzelle solcher Entwicklungen werden möchte,
müßte ja zunächst aus vielen Verträgen
aussteigen. Das internationale Finanzkapital, WTO und Weltbank,
amerikanische Regierung und europäische Kommission –
sie alle würden selbstverständlich massiven Druck
ausüben, falls in einem Land die Mehrheit auf solche Ideen
käme. Selbst bei großen demokratischen Mehrheiten wäre
da mit "Strafmaßnahmen" aller Art zu rechnen.
Eine wirkliche Abkoppelung vom globalen Wahn ist daher wohl erst
vorstellbar, wenn dieser bereits so tief in Turbulenzen geführt
hat, daß ohnehin fast alle nur noch mit sich selbst
beschäftigt sind – weil klar ist, daß entlang
den alten Prinzipien gar keine lebensfähige Lösung in
globalem Einverständnis mehr zustande kommen kann.
Schwer
vorstellbar, aber nicht unmöglich, ist auch, daß
gerade in Europa schon vor derartigen Krisensituationen die hier
angedeutete "meta-ökonomische" Diskussion so weit
den Boden bereitet hat, daß die europäische Union
gemeinsam zu einer anderen Wirtschaftsordnung umschwenken kann.
Ihr Gewicht wäre dann wohl groß genug, um rasch die
ganze Welt nachfolgen zu lassen. Es ist aber, wie gesagt,
unsinnig, sich schon jetzt den Übergang im Detail
auszumalen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, nach den
lebensfähigen Ideen zu tasten, die "nach der Krise"
weiterführen können. Im entscheidenden Moment müssen
diese Ideen schon hinreichend durchdacht und einer nicht mehr
vernachlässigbaren Minderheit von "Meinungsführern"
plausibel gemacht sein, damit sie im Absturz erreichbar sind und
uns auffangen können.
Deshalb ist es besonders
wichtig, klarzumachen, daß das Ende des absurden
Vermögenswachstums (dem ja großenteils nicht einmal
wirkliche Wertschöpfung sondern ein Zerstörungsprozeß
zugrunde liegt), die Einführung von Bürgergeld und
Grundrente und die radikale Steuerreform nicht etwa "die
Wirtschaft schädigen" würden. Ganz im Gegenteil:
Eine wirtschaftliche Blüte würde einsetzen, wenn die
Fessel der Kapitalbedienung gesprengt wäre. Sogar das auf
übliche Weise gemessene Sozialprodukt wüchse zunächst
beträchtlich, weil wieder alle viel stärker am
Wirtschaftsprozeß teilnehmen könnten. Was gibt es
heute nicht für einen gewaltigen Bedarf an Gütern und
Dienstleistungen bei jenen, die sich fast nichts leisten können,
weil sie arbeitslos sind oder einen so großen Teil ihres
Einkommens ins Vermögenswachstum anderer stecken müssen.
Man erinnere sich: Etwa drei Viertel der durchschnittlichen Miete
entfallen bei uns auf Zinsen, dienen also dem Vermögenswachstum
anderer. Auf Iängere Sicht freilich könnte und dürfte
das Sozialprodukt nur langsam wachsen – weil ja wirkliche
Wertschöpfung nur im Zeitmaßstab der Generationenfolge
gelingen kann.
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In
der neuen Gesellschaft werden viel mehr Menschen am
Wirtschaftsleben teilnehmen, ohne einen Arbeitsplatz in der
Industrie oder im Öffentlichen Dienst zu haben. Tatsächlich
wird ein großer Teil des letzteren einfach verschwinden. Es
gibt "viel weniger Staat". Und auch die Industrie
beschäftigt nicht viele – wegen der Automatisierung
und wegen der größeren Langlebigkeit und
Reparaturfähigkeit der Produkte. Auch die großen
Baufirmen verschwinden natürlich, wenn Gebäude für
Generationen gebaut sind und nicht durch Bomben vernichtet
werden. Aber dafür gibt es wieder viele Handwerker und
andere kleine Dienstleistungsunternehmen. (Sogar ein
Wissenschaftler mit Kindern wird es sich leisten können,
einen Installateur zur Reparatur seiner Küchenarmatur zu
rufen, statt ein Wochenende auf dem Boden kriechend zu
verbringen, weil selbst ein Schwarzarbeiter zu teuer käme...).
Schwarzarbeit – welch irrsinniges Konzept! Jeder
wird frei sein, zu arbeiten, was und wieviel er will und kann.
Leistung wird sich wieder lohnen. Sind dann nicht alle "gelben
Ideen" verwirklicht?- Sogar Gewerkschaften und Tarifverträge
werden weitgehend überflüssig – aber auch ein
großer Teil der Gefängnisse, denn nicht einmal die
Mafia lohnt sich noch. Dafür werden Theater nur so aus dem
Boden schießen – ganz ohne öffentliche
Subventionen – und sie werden um ein viel größeres
Publikum konkurrieren als heute. Selbst in Konzerten berühmter
Musiker wird man auch Eltern mit Kindern sehen. Was man
sich alles leistet! So billig ist zum Beispiel das Wohnen
geworden, wenn dieses Grundbedürfnis nicht mehr zur
Ausbeutung mißbraucht werden kann.
Habe ich
Wichtiges vergessen? Ach ja. natürlich – die Bildung
im 21. Jahrhundert. Kindergärten, Schulen und
Universitäten werden Gebühren erheben, und vielleicht
verlangen sogar manche Meister wieder Lehrgelder! Aber das Geld
für Erziehung und Ausbildung wird den Kindern und
Jugendlichen zuvor in Form von Gutscheinen zur Verfügung
gestellt! Dies wird als selbstverständlicher erscheinen als
die heutigen "Eigentumsrechte". Im übrigen aber
ist dann das ganze Erziehungs- und Bildungswesen weitgehend
privatisiert. Schulen konkurrieren um Schüler und die
jeweils geeignetsten Lehrer, Universitäten um Professoren
und Studenten. Welche Vielfalt von Wahlmöglichkeiten!
Welcher Wettbewerb! Aber wer in ihm nicht besteht, geht nicht
unter. Die Lebensgrundlagen sind für alle gesichert. Überall
fröhliche Menschen. Singen und Spielen hört man sie.
Das muß wohl das "Jubilieren zum Lobe Gottes"
sein, das den siebten Tag charakterisieren soll. Aber jeder, der
etwas tun will, wird etwas zu tun finden, was seinen Fähigkeiten
und Vorlieben entspricht. Wetten, daß fast jeder etwas wird
tun wollen?
Kultusministerien werden allerdings wenig zu
tun haben. Selbst die "Aufsicht" wird wahrscheinlich
weitgehend durch die Konkurrenz ersetzt – allerdings einer
Konkurrenz um etwas höhere Ideen als die der Aneignung.
Vielleicht kann sich der Staat noch ein wenig in die
Stipendienvergabe für begabte Studenten einmischen –
denn natürlich bekommt niemand ohne Leistungsnachweise die
Studiengebühren ersetzt, jedenfalls nicht ab einem Alter von
– sagen wir – 21 Jahren. Aber angesichts des vielen
Geldes, das in der blühenden Wirtschaft umliefe, dürften
sogar Stipendien oft durch private Spenden oder Darlehen
finanziert werden. ("Neutrales Geld" wird ja stets auf
der Suche nach werterhaltender Investition sein, weil ihm die
Aneignung und Ausbeutung von Lebensgrundlagen versperrt ist und
weil es gewissermaßen "verrostet", wenn es nicht
durch ständigen Umlauf aufgefrischt wird.)
Übrigens
wird auch für die Entwicklung von Lehrplänen und die
Formulierung von Bildungszielen kein Ministerium mehr nötig
sein. Das regelt sich alles durch Angebot und Nachfrage auf dem
freien Markt, ganz ohne Bürokratie. Was die Zeugnisse
verschiedener Schulen oder Universitäten wert sind, spricht
sich herum – und außerdem schaut man sich
Stellenbewerber auch unter anderen Gesichtspunkten als Noten und
Punkten an (– und sogar entlassen kann man sie ganz
leicht wieder, wenn man diese Möglichkeit vertraglich
vorgesehen hat). Freilich – Minderwertsteuern,
Größenbegrenzungssteuem, Abschaffung der
Subventionierung des Kapitals – lauter Schranken in diesem
Märchenland der goldenen Jahre des 21. Jahrhunderts! Ist das
alles nicht doch Ausdruck strenger Regulierung? Es kommt doch
nicht von allein!
In der Tat. Auch die befreiende
Kulturleistung des siebten Tages wird selbstverständlich
eine Folge von Selbstbeschränkung sein – wie jeder
gelungene Schritt der Selbstorganisation im Schöpfungsprozeß
– wie immer, wenn eine attraktive Gestalt gefunden wird,
die nicht so bald wieder verlassen werden muß. Fast alles,
was gut war, bleibt ja. Das Falsche, das nicht mehr Lebensfähige
ist es, was beschränkt wird. Jammern wir nicht länger
über die kapitalistischen und neoliberalen Lehren, die uns
weismachen, an der komplexesten Front im Raum der Möglichkeiten
seien das Wachstum der Vermögen und des klassischen
Sozialprodukts geeignete Kriterien für die Beurteilung der
Lebensfähigkeit. Lachen wir endlich darüber, und
verlassen wir diese Ideen. Sie mögen ein unvermeidbares
Stück des Weges durch die Kindheit der Menschengesellschaft
gewesen sein – sich aber im Erwachsenwerden weiterhin an
solche Ideen zu klammern, das ist kindisch.
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