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Ohne Fehler ist nur der Untergang

Das Denken und Wirken des Astrophysikers und Gesellschaftskritikers Peter Kafka

Ausschnitt (Beginn) aus der Rundfunksendung von Claus Biegert
am 19.12.2001 im Programm Bayern 2 Radio des Bayerischen Rundfunks









P.KAFKA: Die Vorstellung ist: Wer am schnellsten voranstürmt, macht‘s richtig!






Alles ist in Aufruhr, nichts ist wie ehedem, die Weltordnung ist über den Haufen geworfen! Wir befinden uns in einer Krise!“ – Worte nach dem 11. September? Nein, Worte vor dem 11. September. Manche Menschen sind Seismographen, Seher, Warner. Sie ernten Unglauben unter ihren Mitmenschen, solange die alltäglichen Bilder im Rahmen bleiben. Erst die Zerstörung der Bilder ruft die Prognosen der Warner wieder in Erinnerung. Peter Kafka war ein solcher Seher und Warner.






Nach der Katastrophe in den USA fingen die einen und die anderen unter uns an sich zu fragen, ob vielleicht das eine oder das andere nicht mehr in Ordnung war und der 11. September im „Karma“ der kapitalistischen Welt vielleicht unausweichlich, also ein Kollaps, mit dem früher oder später zu rechnen war. Das World Trade Center, Symbol der Wirtschaftsmacht der industriellen Welt, wurde durch seinen Einsturz zum neuen Symbol: zum Symbol für die Verletzlichkeit des zu Großen, zu Schnellen, zu Mächtigen, zu Komplizierten, ein Symbol auch für die Fragwürdigkeit des Bisherigen.






Verlassen wir uns nicht täglich darauf, am Morgen alles so vorzufinden, wie wir es vom Vorabend her gewöhnt sind? Verlassen wir uns nicht auf das Funktionieren der Gesellschaft, der Technik, der Natur so, wie wir uns täglich auf das Funktionieren unseres Organismus verlassen? Wenn die Organe unseres Körpers plötzlich versagen und uns zusammenbrechen lassen, fallen wir aus allen Wolken. Aber die Plötzlichkeit, die wir empfinden, ist ein Trugbild. Jahre des Raubbaues müssen vorausgegangen sein. Das Versagen eines komplexen Systems kommt nie aus heiterem Himmel. Aus vielen Flocken besteht die Schneelast, die auf dem Ast liegt, ohne ihm zu schaden; schließlich ist es eine einzige Schneeflocke, die das Holz zum Brechen bringt.






Nur wenn wir das Bild der Schneeflocke zulassen, besteht die Chance, die Last zu sehen, die wir so lange übersehen haben.






Diese Sendung ist Peter Kafka gewidmet, dem eigenständigen Denker, Friedens- und Anti-Atom-Aktivisten, Astrophysiker und Gesellschaftskritiker, der vor knapp einem Jahr, am 23. Dezember 2000, starb, bis zuletzt umgeben von seiner Familie und seinen Freunden, drei Tage vor seinem Tod von der Stadt München noch geehrt mit der Bürgermedaille „München leuchtet“. Zehn Wochen lang hatte er Zeit, sich auf seinen Tod vorzubereiten. Als er von seinem Gehirntumor erfuhr, bat er alle Mitstreiter zu einem öffentlichen Abschiedsvortrag, den er „Schwanengesang“ nannte. Kafka hatte viel Humor, und keine Angst vor dem Tod. Angst machte ihm allein die Geschwindigkeit unseres technischen Fortschritts. Auf seine Todesanzeige ließ er den Ausspruch drucken: „Leisten Sie Widerstand! Schämen Sie sich nicht, über Dinge mitzureden, die Sie nicht ganz verstehen! Alles Wesentliche ist nicht verstanden!“






P.KAFKA: Mein Thema ist einfach die Frage, ob der sogenannte Fortschritt lebensfähig ist oder ob wir da was wichtiges vergessen haben. Im Grunde habe ich über alles immer nachgedacht, weil ja alles miteinander zusammenhängt. Ich hab das gar nicht so gerne, wenn man immer sagt Der Astrophysiker Peter Kafka – was soll das? Natürlich hab ich mit der Astrophysik mich sehr viel beschäftigt, aber nicht, weil mich das so furchtbar interessiert, wie ein Neutronenstern funktioniert oder was, sondern im Grunde wegen der größeren Zusammenhänge. Weil diese Dinge, die wir in der Astrophysik gemacht haben, die funktionieren ja noch lange, lange Zeit weiter, auch wenn wir hier scheitern sollten. Das ist nicht das Problem. Die Frage ist wirklich: Wie paßt der Mensch in diese Welt, und kann er hier einen Platz finden, an dem er nicht die eigenen Voraussetzungen ruiniert? Er ist ja jetzt dabei, nicht nur sich selbst, sondern die ganze Biosphäre zu ruinieren mit einem unglaublichen Tempo. Das ist das, was mein Thema war, was ich genannt habe Die globale Beschleunigungskrise. Ich hab versucht, das ganz allgemein, logisch, systemtheoretisch zu erklären, woran das liegt, daß der Mensch in diese Situation geraten mußte – nicht aus Bosheit, nicht mal aus Dummheit, sondern zwangsläufig, weil es systemtheoretisch unvermeidlich ist, in die sogenannte globale Beschleunigungskrise zu geraten. Dabei hab ich aber dann auch gesehen, daß das nicht den Untergang bedeutet, wie viele meinen, übrigens gerade bei den Leuten, die am weitesten antreiben in dieser Krise – die sind tief in ihrem Herzen ganz pessimistisch und sagen: Na ja, es ist zwar alles ganz furchtbar, aber es kann nicht wieder gut werden, denn so ist nun mal die Welt. Und das stimmt nicht! Sondern wenn wir wirklich das Wesen dieser Krise verstanden haben – das ist nicht schwer! – dann können wir sie auch überwinden. Sonst hätte ich es ja nicht Krise genannt, sondern Untergang.






Als Astrophysiker des Max-Planck-Instituts hätte Peter Kafka in der Gravitationswellen-Forschung aufgehen können, hätte, eingebettet in die internationale Wissenschaftsgemeinde, zu den bestehenden Lorbeeren noch weitere hinzufügen können. Aber dann hätten wir Peter Kafka womöglich nie kennen gelernt. Wir haben ihn kennengelernt, weil er über die Schwelle des naturwissenschaftlichen Refugiums nach draußen ins öffentliche Leben trat und das Studium Schwarzer Löcher im All anderen überließ, um sich selbst den Löchern in der Zudecke unserer Zivilisation zuzuwenden. Er riskierte dabei, als Wissenschaftler nicht mehr ernst genommen zu werden. Das machte ihm keine Angst. Er konnte nicht anders. Er konnte keinen Bogen machen um die brennenden Probleme des Planeten.






P.KAFKA: Die Symptome, die wir jetzt in der Entwicklung sehen, die sind wirklich der Höhepunkt der Krise: daß tatsächlich alles immer noch schneller, noch globaler, noch vereinheitlichter wird, noch konzentrierter auf immer weniger Mächte – das ist der Höhepunkt der globalen Beschleunigungskrise! Und wenn man da nur hinguckt, dann hat man natürlich das Gefühl: das ist der Untergang! Aber wenn man weiß, daß es ja nicht weitergehen kann, weil es zusammenbrechen muß, und wie viele Menschen auf der Erde sind, die das ahnen und auch denken, es ist ja sehr leicht zu denken, und viele, viele Strömungen in anderen Ländern... ich bin immer ganz glücklich, wenn mir Menschen begegnen, von denen ich überhaupt nichts wußte, und höre, daß in völlig anderen Kulturbereichen meine Gedanken auch da sind, meistens mit etwas anderen Herkünften natürlich, weil ich halt aus der westlichen Wissenschaft stamme, aber die wesentlichen Einsichten sind überall da! Wichtig ist für mich, daß ich es aus der westlichen Wissenschaft schöpfe deshalb, weil die ja nun tatsächlich die Welt anführt im Moment, und wenn Politiker und Wirtschaftler und Philosophen oder sogar Kardinäle Fragen haben, dann wenden sie sich immer an diese Seite der modernen Wissenschaft. Und deshalb hab ich auch das Gefühl: das ist die Stelle, wo der Knackpunkt ist, da muß auch der Umschwung erfolgen. Wir können heute nicht mit alten Religionen und esoterischen Lehren die globale Beschleunigungskrise überwinden – die muß aus sich selbst überwunden werden. Aber das geschieht, weil sie eben unvermeidlich ist.






Peter Kafka wurde 1933 in Berlin geboren und wuchs bei seinem Großvater auf, einem jüdischen Rechtsanwalt, der zum Katholizismus konvertiert war. Mehrere Familienmitglieder hatten den Holocaust nicht überlebt und waren in Konzentrationslagern umgekommen. Peter Kafka wählte den Weg des Naturwissenschaftlers und wurde Mitte der 60er Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am damals von Werner Heisenberg geleiteten Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik. Schon früh gehörte er zu den wissenschaftlichen Dissidenten der Kernenergie. 1982 erschien sein erstes Buch Kernenergie – Ja oder Nein? – ein Briefwechsel mit dem Kernkraft-Befürworter Heinz Maier-Leibnitz, damals Leiter des Deutschen Forschungszentrums, der die Kernenergie befürwortete. Für Kafka galt der Leitsatz: „Ein Wissenschaftler, der sich in das gesellschaftliche Leben nicht einmischt, um seine Wissenschaft nicht zu gefährden, gefährdet das gesellschaftliche Leben.“ Die Diskrepanz zwischen Labor und dem Leben suchte Peter Kafka täglich zu überwinden. Nach dem GAU von Tschernobyl im April 1986 hielt es ihn nicht mehr am Schreibtisch. Das „Spiel mit dem Feuer“ brannte ihm unter den Füßen – er wurde zum Demonstranten, zum Wanderprediger gegen den atomaren Wahnsinn, von seinen Kollegen im Max-Planck-Institut begreiflicherweise nicht immer verstanden. Seine langen, grauen Haare, sein voller Bart – ein Hippie! Ein Spinner! Die akademische Welt, die sich die Gunst der Herrschenden nicht verscherzen will, hat ihre Methoden, sich von Andersdenkenden zu distanzieren.






Als in der Oberpfalz die Atomare Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf geplant wurde, zählte Kafka zu den Anführern des Widerstands. Seine Rede vor dem Genehmigungsausschuß 1988 gehört zu den großen Auftritten der Anti-Atom-Bewegung in Deutschland.






P.KAFKA: Stellen wir uns also vor: Sie – Sie dort vorne und Sie da oben – setzen Ihren Willen durch, die Anlage wird genehmigt, geht in Betrieb und arbeitet einige Jahre. Selbstverständlich wird das geschehen, Sie finden die dafür nötigen Gutachter, das ist kein Problem. Es gibt eine einzige Stelle, an der Sie zu packen sind, und auf die möchte ich hinaus.






Zu der Vorstellung, daß die Sache gebaut wird und in Betrieb geht, paßt eine andere Vorstellung: Es bleiben bei uns Männer am Ruder, die nicht bereit sind, der Ungerechtigkeit in der Welt entgegen zuarbeiten, die vielmehr von ihr profitieren, profitieren wollen, zum Beispiel auch indem sie moderne Waffen produzieren und verkaufen. Sie werden nicht bestreiten, daß solche Vorstellungen ziemlich realistisch sind. Mit dieser Beutemacher-Gesinnung bereiten wir aber auf vielen Ebenen Krieg vor; ganze Völker werden gegen ihre Ausbeuter aufstehen – oder gegen wen sie dafür halten – und es werden sich viele größere und kleinere Bewegungen bilden, national und international, die das weitere Wachstum des anonymen Kapitals und des sogenannten Lebensstandards auf Kosten von Natur und Kultur behindern wollen.






Der Atomstaat wird zwar versuchen, sich gegen jede Subversion zu schützen, aber das muß zu weiterer Eskalation führen. Wir müssen uns also leider auch vorstellen, was dann geschehen kann. Sie dort oben haben auch Angst vor solchen Zukunftsbildern! Wie schaffen Sie es dennoch, in eine solche Welt – und auch noch in die eigene nächste Nachbarschaft, also den eigenen Kindern und Enkeln vor die Nase – die größte onzentration von Zerstörungspotential zu setzen?






Lesen Sie bitte einmal das Buch „The March Of Folly“ der Historikerin Barbara Tuchmann; auf Deutsch heißt es „Die Torheit der Regierenden – Von Troja bis Vietnam“. Rückwärts schauend erkennen die meisten den Wahnsinn leichter. Nur, wenn wir Sie da oben so weitermachen lassen, kann vielleicht bald niemand mehr zurückschauen.






Wieviel Sorgen auch immer die sogenannte Entsorgung machen wird, sie ist jedenfalls durch den sorglosen Einstieg in die Kernenergie-Nutzung unvermeidbar geworden. Und selbst wenn Einsicht oder Katastrophen dieses törichte Abenteuer beenden, werden noch unzählige Generationen nach uns damit beschäftigt sein.






Wer weiß, daß der Gehalt an langlebigen radioaktiven Spaltprodukten in jedem Brennelement nach der etwa dreijährigen Nutzung dem von fast zehn Hiroshima-Bomben entspricht, der wird sich vorstellen können, wieviel komplexer die Wiederaufarbeitung schon allein wegen der Sicherheitsanforderungen im Vergleich zur konditionierten Endlagerung sein muß.






Und solange die volkreichsten Länder der Erde weniger Kernkraft haben als wir, bringt diese Umlegung auf die ganze Menschheit eine Menge an Einsparungen bei der Mittelung. Sie erinnern sich an das Beispiel, das Roland Scholz hier nannte: auch der schlimmste Verkehrsunfall bringt der Gesamtheit der Autofahrer einen völlig vernachlässigbaren mittleren Blutverlust! – Aber kommen wir zurück zum Kern der Sache: Sie da vorne auf der einen Seite werden mit Hilfe von Ihnen da vorne auf der anderen Seite denen da oben bestätigen, daß nichts schlimmes passieren kann wenn ein Ventil ausfällt oder ein Kessel birst oder ein Kran umstürzt oder ein Brand ausbricht oder wenn gar ein Jahrtausend-Erdbeben sich erlaubt, ausgerechnet in die nächsten 30 Jahre zu fallen. Ihre gegenseitige Überzeugungskraft ist unwiderstehlich. Und auch die Juristen, bei denen wir uns vielleicht noch werden beschweren dürfen, werden sich, zum mindesten was die letzte Instanz betrifft, höchstwahrscheinlich dem Kreis der Überzeugungstäter zugesellen. Der „March Of Folly“ wird weitergehen! Nur auf die eine Frage weiß ich nicht, mit welcher Antwort Sie sich werden beruhigen können, und an ihr muß die WAA meiner Meinung nach scheitern. Nehmen wir also einmal an, alles, was Sie, die politischen, wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Planer von Atomanlagen erzählen, sei gesicherte Wahrheit; glauben wir also den Hauswissenschaftlern und den Pressesprechern der Umweltpropagandaministerien, den Werbepsychologen von Siemens, KWU und dem ganzen Informationskreis Kernenergie, Herrn Birkhofer und der ganzen Reaktorsicherheitskomission, Herrn Kaul und Herrn Jacobi und unserer ganzen Strahlenschutzkommission und der ICRP und dem TÜV und allen seinen Gutachtern! Glauben wir es mal alles! Sie glauben es ja vielleicht sogar auch! Glauben wir also, daß im sogenannten Normalbetrieb der Wiederaufarbeitung und bei allen berücksichtigten Störfällen Personal und Bevölkerung nicht mehr als ein paar Personensievert an Kollektivdosis erhalten werden; glauben wir, daß selbst langfristig hierdurch nur wenige zusätzliche Krebs-Todesfälle eintreten werden; glauben wir, daß alle Krankheiten, die nicht unmittelbar zum Tode führen, nicht zu berücksichtigen sind; glauben wir, daß die Toten und die Krüppel späterer Generationen entsprechend dem zeitlichen Abstand zu diskontieren sind; glauben wir, daß der Schaden an nicht-menschlichem Leben von vorne herein gar nicht interessiert; und glauben wir auch noch, daß die am Wiederaufarbeitungsanlagen-Ausgang herauskommenden Atommüll-Gebinde auf ewig sicher in der Erde versenkt werden – können wir ruhig alles glauben, es hilft alles nichts: selbst dann darf die Wiederaufarbeitungsanlage nicht einmal nach dem Atomgesetz in Betrieb gehen! Das hat Carl Friedrich von Weizsäcker am 19. Juli hier gesagt; er halte die WAA in der geplanten Form nicht für genehmigungsfähig im Sinne des Atomgesetzes – Sie können sicher sein, daß er lange darüber nachgedacht hat! Warum ist es nicht genehmigungsfähig? Weil sie nicht gegen real bestehende Gefahren ausgelegt ist, die zu Schäden an Leben und Gesundheit vieler Menschen und zur langfristigen Unbewohnbarkeit großer Landstriche führen könnten. Herr von Weizsäcker wollte sich dabei ausdrücklich auf den Kriegsfall beschränken. Aber aus seiner Argumentation ging ganz klar hervor, daß er einen Beschuß mit mehreren konventionellen Raketen oder eine Bombardierung z.B. mit mehreren in zeitlichem Abstand detonierenden Bomben im Auge hatte. Solche Angriffe können aber ebensogut von einer finanziell hinreichend ausgestatteten terroristischen Bande ausgehen. Wir brauchen dafür keinen Krieg. Im Sicherheitsbericht, um den es hier im Erörterungsverfahren geht, steht zu diesen Fragen unter 231-1: „Die Schutzziele gelten als erreicht, wenn ausreichende Maßnahmen zur Risiko-Minimierung bei seltenen Ereignissen getroffen sind.“ Natürlich, ein Angriff mit dem Ziel der Freisetzung großer Mengen radioaktiver Nuklide wäre zweifellos ein solches seltenes Ereignis, nämlich ein einmaliges...






236-1: „Die standortbedingten Eintrittshäufigkeiten für Flugzeugabstürze und Druckwellen aus chemischen Reaktionen sind äußerst gering.“ Ja – solange die Anlage dort nicht steht trifft das sicherlich zu. Ist sie aber in Betrieb, so hat der Standort eine völlig neue Qualität: dann beherbergt er das größte konzentrierte Zerstörungspotential Europas und stellt deshalb eines der interessantesten Ziele für militärische Desperados, Terroristen oder sonstige Geistesgestörte dar. Die Eintrittshäufigkeit läßt sich dann nicht mehr als „äußerst gering“ bezeichnen! Wie groß ist sie? Sie ist genau ein Mal innerhalb der Zeit, bis es passiert. Welche Häufigkeit ist das? Das verraten Sie mal!






Wenn angreifbare Nuklearanlagen hinzukommen, wird die nukleare Erpressung derartig verbilligt, daß sie nun von kleinen Banden gegen große Staaten wird unternommen werden können. Damit müßte, wie gesagt, nach den Maßstäben der wirklichen Vernunft, die WAA-Frage erledigt sein. Sie da oben werden doch nicht etwa wagen, sie trotzdem zu genehmigen!? Natürlich werden Sie‘s. Ihr Gewissen werden Sie entlasten indem Sie sich sagen, die Verantwortung liege ja weiter oben. Sie können sich doch sicher fühlen, daß kein Richter es wagen wird, die erteilte Genehmigung durchgehen zu lassen, wenn sie nicht in Ordnung ist. – Aber nein! Schauen wir lieber der Realität ins Auge: auch die Richter werden natürlich mitmachen, weil sie sich sicher fühlen, daß Gott es nicht zulassen wird, daß etwas schief geht. – Aber nein! Natürlich wird auch Er das zulassen – er hat nämlich noch alles zugelassen, was WIR zugelassen haben. Und wenn es dann geschehen ist, und es sind wieder einmal Millionen Heimatloser unterwegs, dann waren WIR nicht schuld, und Sie da oben auch nicht, und die Richter auch nicht, dann war es Höhere Gewalt! Und in der viel treffenderen englischen Juristensprache heißt das „An Act Of God“, ein „Akt Gottes“. – Vielen Dank!






Peter Kafka 1988. Die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf wurde nicht gebaut. Es war nicht die Einsicht der Verantwortlichen, sondern das Ergebnis der Rentabilitäts-Rechnung. Die DWK, die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, beschloß nach sieben Jahren, die WAA Wackersdorf nicht zu bauen. Für die Oberpfälzer war es ein zwiespältiger Sieg; ihre Forderung hieß: keine WAA in Wackersdorf – und anderswo! Und das Anderswo lag im Nachbarland; künftig würde die französische Anlage La Hague die abgebrannten Brennelemente aus Deutschland aufnehmen.






Peter Kafka hatte jetzt seinen Platz im öffentlichen Leben eingenommen. Als Warnender mit Weitsicht und Witz pilgerte er von nun an durchs Land. Wir sahen ihn in der Provinz und in den großen Städten, auf Straßen und Plätzen, in Kirchen und Volkshochschulen. Er schärfte unseren Blick für die Krisenherde – nicht die Krisenherden der politischen Weltkarte, sondern die Krisenherde unseres täglichen Daseins. Der Wahnsinn unserer Gesellschaft offenbarte sich für ihn im Tempo der Fortschrittsgeschwindigkeit: immer schneller zu immer größerem, immer komplizierterem – ein tödliches Rennen um den Profit!






P.KAFKA: Diese Bedingungen, die logischen Bedingungen wirklichen Fortschritts, sind verletzt. Die ganze Geschichte der Welt hindurch, die Evolutionsgeschichte des Lebendigen hindurch, und auch die ganze Kulturgeschichte hindurch waren diese Bedingungen zumindest an wichtigen Stellen immer noch erfüllt. Es war deshalb immer wahrscheinlich, daß der sogenannte Fortschritt aufwärts führte. Es wurden so viele verschiedene Möglichkeiten probiert, in verschiedenen Bereichen, an verschiedenen geographischen Stellen, und es war immer noch genügend Zeit um zu bewerten, ob‘s denn nun zusammenpaßt oder nicht – daß insgesamt es immer zu höherer Komplexität aufwärts ging in der Entwicklung der Welt und des Lebendigen bis in die Kulturgeschichte hinein. Aber dann kommt der Pferdefuß an dieser Sache, nämlich: die Geschwindigkeit, mit der diese Innovation geschieht, steigt selbst dauernd weiter, weil nämlich das Schnelle das Langsamere verdrängt, und das Große das Kleinere verdrängt. Drum steigt die Organisationsskala, die wird immer größer, und die Geschwindigkeit, mit der das Neue hereinbricht, wird immer schneller. Das ist logisch, systemtheoretisch unvermeidlich! Es muß immer schneller werden!






Aber dadurch werden genau die Bedingungen verletzt, unter denen es wahrscheinlich aufwärts führt. Denn schließlich geht es global und so schnell voran, daß das Neue mit dem Alten wahrscheinlich nicht zusammenpaßt. Und dann bricht‘s zusammen. Und das ist der Höhepunkt dieser Krise, in der wir stecken, die uns an allen Ecken und Enden bis in die Zeitungen hinein heute überall, in allen Erscheinungen entgegentritt. Wir sind mit unserer Zivilisation, mit allem, was der Mensch gedacht und geschaffen hat, an einer singulären Stelle der Geschichte der Erde angelangt. Und hier drohen tatsächlich nicht nur die Kultur sondern sogar die höheren Schichten der Natur zusammenzubrechen, das haben Sie alles auch schon mitgekriegt an vielen Stellen... allein daß heute jeden Tag – was sag ich – jede Stunde mehrere Arten aussterben, die für ihre Entstehung Millionen Jahre brauchen, und wir putzen das alles weg und sagen: Wird schon gut gehen! – das kann nicht gut gehen auf diese Weise, sondern wir müssen jetzt, an dieser Stelle, sehen, daß das nicht ein kleiner Irrtum ist, diese Krise, sondern daß es eine fundamentale, singuläre Stelle in der Geschichte der Erde ist ...