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»Mich
beschäftigt diese Frage des Zeitproblems seit zwanzig
Jahren. Und wann ich dieses Schlagwort der „Globalen
Beschleunigungskrise“ formuliert habe, weiß ich nicht
mehr genau. Aber sozusagen „Vielfalt“ und
„Gemächlichkeit“ als die logischen Bedingungen
wirklichen Fortschritts, das habe ich schon vor mehr als zwanzig
Jahren so formuliert. Das Wort „Vielfalt“ wurde
sofort überall aufgegriffen. Das Wort „Gemächlichkeit“
kam aber damals nicht an, es wirkte einfach lächerlich. Ich
war schon ziemlich verzweifelt, daß buchstäblich fast
zwanzig Jahre lang niemand das Zeitproblem sehen wollte. Und nun
auf einmal – die Eile ist offenbar groß genug
geworden – gibt es eine Explosion von Schriften zu diesem
Thema.
Also habe ich damals wohl doch eine wesentliche
Entdeckung gemacht, nämlich als ich in der Mitte meines
Lebens plötzlich bemerkte, daß fast alles, was ich als
Kind lieben gelernt hatte, gar nicht mehr da war. Inzwischen habe
ich feststellen müssen, daß meine Kinder diese
Erfahrung bereits am Ende ihrer Schulzeit machen. Da ist offenbar
ein Problem. Viel schneller kann es ja wohl nicht
werden.
Trotzdem heißt es bei jedem Problem, mit dem
wir konfrontiert werden: wir brauchen schnellere Innovationen und
natürlich obendrein noch stärkere globale
Vereinheitlichung, dann werden wir die Probleme schon lösen.
Allerdings hat sich ja gezeigt, daß jedes derartig gelöste
Problem einige neue hervorbringt, und die neuen Probleme, die der
„Problemlösung“ dienen sollten, sind noch etwas
ausgedehnter, geographisch ausgedehnter, globaler, und sie sind
noch etwas dringlicher, bedürfen also noch eiligerer
Lösung.
Dieses Systemverhalten würde jeder
Naturwissenschaftler als „Instabilität“
bezeichnen, aber merkwürdigerweise wird es in unserer
Gesellschaft immer noch „Fortschritt“
genannt.«
(...)
»Das Schnelle und die
Organisation im großen haben ja einen selektiven Vorteil.
Sobald Gestalten gefunden werden, die schneller vorankommen im
Raum der Möglichkeiten, geht die Front auf diese über.
Sie verdrängen die langsameren und sorgen dafür, daß
sich diese Front dann auch geographisch schneller ausbreitet. Auf
einem runden Planeten führt das dazu, daß schließlich
„Globalisierung“ eintritt.
Das ist zunächst
kein Problem. Wenn es nicht zu schnell geht, macht das nichts.
Das ganze Leben hat den Planeten erobert, es gibt nur einen
genetischen Code auf der Erde. Die ganze Erde ist ein sehr gut
zusammenhängendes Gebilde, in dem sich alles gegenseitig
regelt. Also, die Globalisierung an sich ist noch nichts
Schlechtes.
Aber wenn versucht wird, global und
schnell im Raum der Möglichkeiten voranzukommen, dann geht
die Sache offenbar schief. Dann wird nicht mehr ausprobiert, ob
die Dinge besser zusammenpassen, sondern es wird das, was im
Moment vordergründig als Vorteil erscheint, verwirklicht.
Dann kommt die Instabilität zustande, die ich erwähnt
habe, nämlich daß eben die sogenannten Problemlösungen
in Wirklichkeit Probleme schaffen, die noch viel dringender sind
und noch viel eiligerer Lösung bedürfen. Einfalt und
Raserei ersetzen dann die frühere Vielfalt und
Gemächlichkeit, in der der Fortschritt erfolgreich sein
konnte.
Wir sehen: es ist eine Krise eingebaut im Prinzip
der Schöpfung. Wenn auf einem runden Planeten, also in einem
endlichen Raumbereich, die Evolution – jetzt im allgemeinen
Sinn, also auch die kulturelle, geistige Evolution –
anhaltend erfolgreich ist, dann muß sie in eine
Krise führen. Die nenne ich die „globale
Beschleunigungskrise“. Dieser Gedanke ist unheimlich
einfach, jeder kann ihn nachvollziehen.
Das Merkwürdige
ist: wir selbst sind diese Krise. In unserer Generation ist der
Höhepunkt erreicht. Deshalb hilft es nichts, die Geschichte
anzuschauen und zu sagen: „Ach, es ist doch immer
gutgegangen. Das Schöpfungsprinzip war doch immer dasselbe.“
Das hilft nichts. Diese Krise ist im System eingebaut, und sie
muß erreicht werden. – Nun ist die Frage: bedeutet
sie Untergang oder Wende zu einem neuen „Schöpfungstag“?
„Krise“
nenne ich es, weil ich der Meinung bin, daß es nicht
Untergang ist. Das griechische Wort „Krisis“ heißt
ja „Entscheidung“. Wir müssen nur verstehen, was
das Problem ist, dann können wir es mit den selben Kräften,
mit denen wir den Höhepunkt der Krise herbeigeführt
haben, so organisieren, daß wir sie überwinden können.
Das heißt, wir müssen als menschliche Gesellschaft,
aber natürlich zunächst in der geistigen Tätigkeit
von einzelnen Hirnen – wie das immer war – eine
kulturelle gesellschaftliche Entwicklung finden, in der das Große
und das Schnelle behindert werden – genau das Gegenteil von
dem, was wir jetzt tun und was uns als unabdingbare Voraussetzung
fürs Überleben hingestellt wird. Aber ich glaube, die
Einsicht in das, was ich Ihnen hier versuchte zu sagen, ist so
simpel, daß wir es aus dieser Einsicht schaffen
werden.«
(...)
»Wir leben in einem
Wahnsystem, und ganz wie in der Geschichte von des Kaisers neuen
Kleidern müßten ein paar ganz simple Fragen genügen,
um dieses Wahnsystem umzustürzen. Aber noch sind wir nicht
soweit. (...) Was wir heute Wachstum nennen, besteht überwiegend
aus zerstörerischen Tätigkeiten. Das äußert
sich schon in der Feststellung der Wirtschaftsfachleute, die uns
sagen: „Wenn wir nicht reales Wachstum haben, geht es uns
morgen schlechter.“ Sie brauchen nur einmal kurz
nachzudenken: Moment! Was heißt das? Wenn wir das gleiche
tun wie heute, dann geht es uns morgen schlechter. Eigenartig,
nicht wahr? (...) Überspitzen wir es in einem Bild: was tun
die Menschen heute? Sie laufen in einem Stadion, werden
angetrieben mit der Bemerkung: „Wenn du nicht in der
Spitzengruppe bist, dann gehst du unter!“ Also sagt sich
jeder: „Ich muß in der Spitzengruppe sein, die
anderen sollen untergehen.“ Da sollte man natürlich
fragen: was ist denn eigentlich das Ziel, wenn da alle in einem
Stadion rennen? Was ist das Ziel? Fragen Sie einmal! Es gibt
keines! Das einzige Ziel ist, daß alles schneller wird! Wir
sind verrückt! Und warum laufen wir mit? Ja, wir kriegen
nichts zu essen, wenn wir das nicht machen. Warum eigentlich? Von
wem kriegen wir das Essen? Ja, da müssen wir einmal auf die
Ränge hinaufschauen. Da sitzen die Sponsoren. Die lassen uns
rennen und belohnen uns dafür mit einem Anteil an ihrem
wachsenden Reichtum. Aber womit werden sie denn immer reicher?
Nicht etwa durch unser Rennen. Das brauchen die gar nicht mehr.
Die brauchen kaum noch, was wir da errennen. Die wetten
untereinander! Das nennt man die internationalen Finanzmärkte!
Nicht wahr? Das sind wirklich Wetten. Es ist nicht die
Produktion, durch die diese Gesellschaft reicher wird. Es sind
die Wetten. Man spricht von Derivaten. Da wird darauf gewettet,
wieviel produziert wird. Sozusagen die Abteilung 1. Ordnung. Dann
die Derivate 2. Ordnung: da wird darauf gewettet, wieviel auf x
gewettet werden wird, Optionen, Futures und noch höhere
Derivate auf den internationalen Finanzmärkten. Da schwappt
das Geld um die Erde – täglich pro Erdbewohner bereits
einige hundert Dollar. Und mit den dabei wachsenden Vermögen
eignet sich eine kleine Minderheit immer mehr von den
Lebensgrundlagen der Mehrheit an.«
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