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Wohin
rennen wir eigentlich?
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Wirtschaften
für das Leben – Gegen den Verlust und Ausverkauf von
immer mehr Lebensbereichen an den totalen Markt. Anlaß:
Die neue Liberalisierungsrunde der WTO. Erweiterte nachträgliche
Schriftfassung einer Ansprache von Peter Kafka in der
Erlöserkirche München Schwabing am 13. November 1999
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1.
TEIL
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Wir
stehen im internationalen Wettbewerb. Die Einpeitscher erinnern
uns täglich daran – durch alle ihre Medien. Wohin das
Rennen geht, sagt keiner. Ein Ziel gibt es offenbar gar nicht. Es
scheint ein Wegrennen zu sein – eine Flucht also. Aber
wovor denn? Na klar: Vor dem Untergang! Wer in der Konkurrenz
nicht vorn ist, muß untergehen, erklärt man uns. Und
weil die Krisensymptome immer rascher auf uns zukommen, scheint
auch klar: Das Rennen muß schneller werden! Wir brauchen
mehr Wettbewerb! heißt es deshalb ständig. Wir wollen
also nicht nur, daß andere untergehen – nein, wir
wollen uns hierfür auch noch mehr anstrengen müssen!
Rührt
sich irgendwo in Politik und Wirtschaft Widerstand gegen solche
Absurditäten? Kaum. Alle scheinen sie als unabwendbar
hinzunehmen – wie man früher die altmodischeren Formen
des Krieges hinnehmen mußte. Und wie immer finden sich
gerade unter Professoren und Wirtschaftsredakteuren viele
beflissene Verteidiger des Systems – oft zusätzlich
gut bezahlt von den Sponsoren des Rennens. Sie erklären,
warum das alles so in Ordnung ist und gar nicht anders sein
könnte. Dem vernünftigen Denken dagegen droht die
endgültige Abschiebung. Es muß nun um Kirchenasyl
bitten.
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Die
Macht der Menschen ist die gewaltigste Naturgewalt geworden.
Sogar die Natur selbst beginnt unter ihr zusammenzubrechen.
Denken Sie an den drohenden Klimawandel durch unsere
Energieverschwendung, an die Vergiftung von Gewässern und
Böden durch Freisetzung von immer mehr lebensfremden Stoffen
und gar neuen Organismen, die wahrscheinlich nicht mit der
Biosphäre zusammenpassen – oder denken Sie daran, daß
heute stündlich etwa zehn lebendige Arten aussterben, die zu
ihrer Entstehung Millionen von Jahren brauchten. Bei all seinen
Fähigkeiten scheint der Mensch buchstäblich verrückt
geworden zu sein.
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Die
böse oder dumme Macht ist nicht so sehr an Personen
gebunden. Sie steckt bekanntlich in den Sachzwängen! Weder
wir kleinen Verbraucher noch unsere Anführer in Politik und
Wirtschaft haben die Macht, die Systemzwänge abzuschaffen.
Wie ja auch nicht etwa Generäle den Krieg abschaffen könnten
– selbst wenn sie das wollten.
Freilich führte
man Kriege nicht um ihrer selbst willen. Es ging darum, sich
fremde Lebensgrundlagen anzueignen – oder sich gegen die
Eroberung durch andere zu verteidigen. Schon im Tierreich war die
Konkurrenz um Lebensgrundlagen der eigentliche Antrieb des
evolutionären Aufstiegs. Das lernt man doch heute sogar in
kirchlichen Schulen – wenigstens hierzulande.
Anfangs
wurde auch beim Menschen die Konkurrenz um Lebensgrundlagen meist
mit blutiger Gewalt ausgefochten, aber mit seinen höheren
Fähigkeiten entdeckte er bald, daß es effektiver ist,
das sogenannte Recht dafür einzusetzen – speziell das
Recht, sich die Lebensgrundlagen anderer Menschen oder gar die
Menschen selbst anzueignen, um sich von ihnen bedienen zu lassen.
Blutige Gewalt mußte dann nur noch gegenüber Völkern
außerhalb des eigenen Rechtssystems geübt werden –
oder in den seltenen Fällen, wo Sklaven nicht zugeben
wollten, daß sie rechtmäßiges Eigentum ihrer
Herren waren.
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Immerhin
ging dann, vor über zweihundert Jahren, von Christen eine
Bewegung mit dem Ziel aus, die Sklaverei für Unrecht zu
erklären. In England gelang das endgültig gerade
hundert Jahre vor meiner Geburt. Und das machte nicht einmal
große Schwierigkeiten, denn man hatte ein raffinierteres
Rechtssystem gefunden, das weiterhin eine genügende Zahl von
Dienern für die Herren garantierte, fast ganz ohne Peitsche.
Logisch: Man muß doch nicht Menschen als Eigentum besitzen
– igitt! Das Eigentum an ihren Lebensgrundlagen erfüllt
den selben Zweck, und viel rationeller!
Das funktionierte
zunächst auch gar nicht schlecht, abgesehen von
Kleinigkeiten – wie etwa der Tatsache, daß viele
Kinder in Kaminen oder Bergwerken herumkriechen mußten, um
ein bißchen Essen zu kriegen. Der Wohlstand der meisten
Menschen stieg doch beträchtlich an – zumal man viele
der niedrigsten Dienste an den Rand der Welt delegieren
konnte.
Auch gab es ja zunächst noch viele
persönliche Beziehungen zwischen Herren und Bedienern des
Kapitals. Die Eigner lebten sogar meist in der Nähe ihres
Eigentums, so daß sie selbst Interesse daran hatten, daß
es schön war. Schauen Sie sich nur ältere Stadtbilder
an! Der bürgerliche Kapitalismus im kleinen Maßstab
brachte doch viele durchaus lebensfreundliche Details hervor.
Trotz der Kriege ging es letztlich aufwärts, und so leben
heute in weiten Teilen der Erde große Bevölkerungsteile
besser als ihre Großeltern – wenn man auch dasselbe
für die Enkel kaum noch zu hoffen wagt.
Wieviel
leichter das Leben geworden ist! Als ich geboren wurde, rackerte
sich noch über die Hälfte aller Deutschen für die
Erzeugung der Nahrung ab – heute arbeiten noch etwa zwei
Prozent in der Landwirtschaft – und Europäische
Kommissare finden auch das noch zu viel. Klar: Wo so viel Kapital
immer rationellere Produktionsmethoden fördert, da muß
man nicht mehr viel arbeiten. Ärgerlich nur, daß dann
mit immer weniger Arbeit immer mehr Kapital bedient werden muß
– und immer mehr Arbeitslose mitversorgt werden sollen.
Nicht wahr?
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Das
ist aber nicht etwa Folge einer kleinen Panne. Das
kapitalistische Prinzip ist leider grundsätzlich instabil.
Die Vermögen sollen ja ständig wachsen und werden
deshalb zweckmäßig in Lebensgrundlagen anderer
Menschen investiert. Wer lebt, muß dann durch seine
Bedienung das Kapital wachsen lassen. Und selbstverständlich
wird auch dieser Zuwachs möglichst wiederum in fremde
Lebensgrundlagen investiert. So wachsen nicht nur die Vermögen
exponentiell, sondern auch die Abhängigkeit von ihnen. So
mächtig sind nun die Investoren geworden, daß sie den
Völkern der Welt sogar diktieren wollen, daß
gesetzliche Regeln für den Schutz der Natur oder der
Bürgerrechte nicht mehr erlassen werden dürfen, wenn
sie den Profit von Investoren schmälern würden.
Wenn
sich ein kleines Geldvermögen in wenigen Jahren verdoppelt,
so ist das harmlos. Bei einem großen aber wirkt das wie
eine Explosion: Plötzlich stehen riesigen
Vermögensansprüchen gar nicht mehr genügend
wirkliche Werte gegenüber. Die können nämlich
nicht so schnell wachsen. Zwar nennen Ökonomen das
Sozialprodukt allen Ernstes „Wertschöpfung“,
doch ist dieses mittlerweile eher ein Maß für
zerstörerische Aktivitäten geworden als für die
Schaffung lebensfähiger Werte.
Ein Ausweg war früher
der Krieg: Wenn das Volk nicht rasch genug Werte schaffen kann,
soll es gefälligst welche erobern! Anschließend ist
freilich stets so viel kaputt, daß die meisten ganz von
vorn beginnen müssen. Aber selbstverständlich wird
dabei die Konkurrenz um Aneignung von Lebensgrundlagen
fortgesetzt. Mit noch raffinierteren Techniken und Rechtssystemen
wird das allgemeine Rennen wieder aufgenommen – auf größer
gewordener Organisationsskala und mit noch schnellerer Innovation
der Mittel.
Nun hatten wir hierzulande über 50 Jahre
keinen Krieg, und schon wegen der Atomwaffen ist auch kaum noch
ein solcher vorstellbar. Der ständig aufgeblähte Ballon
der Vermögen muß nun wohl auf andere Weise platzen.
Aber wie?
Sollen wir auf den „großen Crash“
warten? Oder gibt es eine Chance, daß dieser in der
politisch-wirtschaftlichen Realität vermieden wird, weil er
zuvor gewissermaßen in den Köpfen stattfindet? Ist es
vorstellbar, daß die Mehrheit über die Absurdität
der Systemzwänge so weit aufgeklärt wird, daß die
Rahmenbedingungen der Wirtschaft auf dem ganz normalen Wege
politischer Mehrheitsentscheidung geändert werden?
Ja
– das ist vorstellbar, behaupte ich. Der Leidensdruck der
Mehrheit wird ständig wachsen, und die Verbreitung neuer
Ideen wird sich mit aller Medienmacht nicht ganz verhindern
lassen. Schließlich muß sich ja bald der naivste
Mitläufer fragen, woran es wohl liegt, daß wir uns
trotz angeblich ununterbrochen wachsender Wertschöpfung nun
gerade das Selbstverständlichste nicht mehr sollen leisten
können: Vernünftige Versorgung und Erziehung von
Kindern, Ausbildung von Jugendlichen, Bewahrung natürlicher
Lebensgrundlagen, Versorgung von Kranken, Pflege der Alten ...
Überall heißt es: Wir müssen sparen! Es ist kein
Geld da!
Da muß wohl bald die Frage laut werden: Ja
– wo ist es denn eigentlich?
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2.
TEIL
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An
der Macht ist es – und die ganze Gesellschaft arbeitet
daran, diese Macht weiter wachsen zu lassen. Wenn z.B. Eltern
Essen für ihre Kinder kaufen, wächst dadurch bei
irgendwelchen Vermögenden ein Konto. Oder – was
Familien noch härter trifft: Von der durchschnittlichen
Miete entfallen heute etwa drei Viertel auf Zinsen! Die gesamte
Last der Zinsen und anderer Formen der Kapitalbedienung ist bei
uns etwa ebenso hoch, wie die gesamte Steuerlast. – Ein
Teil davon wird freilich sogar als Steuer eingezogen: Obwohl das
Geld doch eigentlich eine öffentliche Einrichtung ist, muß
sich die „öffentliche Hand“ zur Erfüllung
ihrer Aufgaben immer mehr Geld von den Reichen leihen! Die Zinsen
für diese Staatsverschuldung machen bekanntlich bald ein
Drittel aller Steuern aus.
Jeder kleine Sparer glaubt, er
gehöre selbst zu den Nutznießern der Zinsidee. Lassen
Sie Ihr Geld arbeiten! wird ihm eingebleut – aber
tatsächlich arbeitet nicht nur er selbst, sondern sogar sein
Geld überwiegend für die Geldvermehrung bei einer
kleinen Minderheit. Per Saldo profitieren nur wenige Prozent der
Bevölkerung – und von diesen wiederum die meisten nur
geringfügig, einige wenige aber ganz außerordentlich.
Sozialneid! schallt es jedem entgegen, der das erwähnt. Und
gerade jene mit den größten leistungslosen Einkommen
mahnen uns ständig: Leistung muß sich wieder lohnen! –
Aber ist nicht bald die einzige Leistung, die sich lohnt, das
Haben?
Eine Zahl für diese „Subventionierung
des Kapitals“ habe ich noch zu nennen vergessen: Es sind
etwa zwei Milliarden Mark pro Tag! Das ist mehr als zehnmal so
viel wie alle Sozialhilfe für Arme. Ich nenne es gern die
Sozialhilfe für die Reichen.
Da gibt es
Kopfschütteln. „Natürlich brauchen wir die
Kapitalakkumulation“, wird ein Volkswirtschaftler sagen,
„sonst ist doch für wichtige Aufgaben kein Geld da!
Die Leute würden alles verfrühstücken!“ Aber
wie merkwürdig: Nun sparen schon viele am Frühstück,
aber es ist immer weniger Geld da! Deshalb soll die Gesellschaft
nun auch noch die letzten gemeinsam erarbeiteten Werte an
Investoren verschleudern, um wenigstens ein bißchen von
deren Geld abzubekommen. Privatisierung nennt man das. Und
Deregulierung nennt man es, wenn Regierungen (oder das Brüsseler
Politbüro) gesetzlich und vertraglich dafür sorgen, daß
die Bedienung der Investoren nicht etwa auf demokratischem Wege
durch soziale oder ökologische Ziele behindert werden
kann.
Die gescheiterten Pariser MAI-Verhandlungen hatten
dieses Ziel, und nun wird es im Rahmen der WTO-Verhandlungen in
Seattle weiterverfolgt werden. Am liebsten täte man es
heimlich, ohne das Volk auch nur zu informieren oder gar zu
fragen. Aber wer ist eigentlich „man“? Wissen Sie,
wer all das so energisch vorantreibt? Ach was – alles viel
zu schwierig – nicht wahr? Selbst der durchschnittliche
Abgeordnete versteht nicht, worum es geht. Sollen das doch die
Zuständigen regeln! Ja – wer also?
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Weiterdenken
ist eine anstrengende Arbeit – und eine zunächst
unbezahlte natürlich, weil sie ja gegen die Macht des Geldes
gerichtet sein muß. Ich empfehle, mit dem Nachdenken über
die angeblich unaufhaltsame Globalisierung und die angeblich
dringend gebotene Beschleunigung technischer Innovation etwas
näher an den Wurzeln zu beginnen. Wir müssen nämlich
verstehen lernen, wovon es eigentlich abhängt, ob der
Fortschritt aufwärts oder abwärts führt. Zu einer
solchen „Systemtheorie von Gott und Teufel“ muß
ich hier wenigstens eine Andeutung machen: Entscheidend ist die
Einsicht, daß zwar größere Organisationsform und
höhere Innovationsgeschwindigkeit „selektive Vorteile“
in der evolutionären Konkurrenz haben – daß es
aber selbstverständlich für beides kritische Grenzen
gibt.
Die Grenze der Größe ist klar: „Globaler
als global kann's nicht werden“. Aber auch die kritische
Grenze der Fortschrittsgeschwindigkeit ist leicht zu begreifen:
Wenn an der Front im Reich der Möglichkeiten so schnell
vorangestürmt wird, daß völlig unerprobte
Bereiche verwirklicht werden, bevor auch nur einmal der
Lebenszyklus der führenden Gestalten durchlaufen ist, dann
wird es extrem unwahrscheinlich, daß Neues und Altes noch
auf lebensfähige Weise zusammenpassen. Die Wirklichkeit
findet dann im Raum der Möglichkeiten nicht mehr aufwärts
zu höherer Komplexität, sondern taumelt abwärts,
in kompliziertes Chaos.
Wir sind diese Anführer. Wenn
wir in der Eile nicht einmal mehr ausprobieren können, ob
das Neue mit uns selbst zusammenpaßt, dann paßt es
wahrscheinlich noch weniger mit den bewährten Ergebnissen
früherer Schöpfungstage zusammen. Das schafft Probleme.
Die lösen wir schnell – aber siehe da: Für jedes
gelöste Problem sind mehrere neue da. Die neuen Probleme
sind größer als die alten, sie greifen weltweit weiter
aus und schreien nach noch schnellerer Lösung. Da wegen der
globalen Vereinheitlichung weniger verschiedene Versuche gemacht
werden, kommt die Lösung in der Tat schneller – aber
sie ist noch wahrscheinlicher ein Irrtum. So verstärken sich
globale Einfalt und Eile gegenseitig. In diesem instabil
gewordenen Wettlauf von Problemlösung und Problemerzeugung
scheint es kein Halten mehr zu geben.
Die irdische
Schöpfungsgeschichte konnte erst mit dem Menschen in diese
Krise geraten. Ich habe sie die „globale
Beschleunigungskrise“ genannt. Die Untergangssymptome in
Biosphäre und Gesellschaft zeigen uns: Unsere Zeit ist die
singuläre Stelle in der irdischen Geschichte, an der die
kritischen Grenzen des „Großen und Schnellen“
erreicht werden. Dies mußte irgendwann geschehen –
und wir sind es, die es trifft. Aber Krise heißt nicht
Untergang, sondern Entscheidung. Die Systemlogik zeigt: Die
innere Zeitskala der globalen Instabilität ist ein
Menschenalter. Wir und unsere Kinder werden also die Entscheidung
treffen.
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Die
Krise war nicht vor ihrem Höhepunkt überwindbar, wenn
auch seit Jahrtausenden so viele die „Unmenschlichkeit“
des Rennens um Lebensgrundlagen erkannten. Erst die
Globalisierung, die ein weiteres Abschieben der Ausbeutung und
anderer Probleme nach außen endgültig verhindern wird,
eröffnet die Möglichkeit, diese Konkurrenz durch
gemeinsames Handeln zu beenden. Natürlich wird auch
weiterhin Konkurrenz der Motor des Fortschritts sein. Ja –
es ist wahr: Wir brauchen mehr Wettbewerb! – Aber an einer
ganz anderen Front als heute! Es darf nicht weiter um Aneignung
fremder Lebensgrundlagen gerungen werden. Vielmehr müssen
gerade diese durch gemeinsame Anstrengung für alle
geschaffen und gesichert werden.
Wenn Menschen wissen, daß
sie künftig nicht mehr darum ringen müssen, einander
etwas wegzunehmen, dann dämmert endlich der siebte
Schöpfungstag. Nicht etwa jener achte, dessen Anbruch der
jetzige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft vor
10 Jahren in seiner Begeisterung verkündete, als er den
Gen-Pool aller lebendigen Arten vor sich sah. Die Front im Reich
der Möglichkeiten, an der wir nun aufbrechen werden, ist
nicht die der technischen Weltverbesserung. Wo Gott sah, daß
es sehr gut war, da dürfen auch wir zufrieden sein. Bei
eiligem Streben nach Verbesserung kann die Komplexität der
Biosphäre und der biologischen Gestalt des Menschen nur
verschlechtert und gar zerstört werden. Wohl aber gibt es
Bereiche, in denen wir schnell vorankommen können und dürfen
– sogar nahezu mit der kritischen
Innovationsgeschwindigkeit: nämlich in der individuellen
seelisch-geistigen Entwicklung und in der gesellschaftlichen
Selbstorganisation unserer Freiheit. Der Aufbruch an dieser
„Front des siebten Tages“ hat längst begonnen.
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Hier
ist zweifellos noch ein Anhang erforderlich. Es muß
natürlich die Frage gestellt werden (und oft wird sie sehr
böse gestellt), wie denn nun konkret die Machtkonkurrenz
überwunden werden sollte. Ist nicht Macht geradezu
definitionsgemäß etwas, was nur durch noch größere
Macht überwindbar ist? Schließlich ist noch nicht
einmal die militärische Konkurrenz wirklich überwunden
– und wenn etwa irgendwo doch, dann nur, weil sich eben der
Wirtschaftsimperialismus als letztlich rationeller erwies als die
Eroberung durch Waffengewalt.
Dies ist aber gerade das
Entscheidende: Im Höhepunkt der globalen
Beschleunigungskrise wird klar, daß die organisatorische
Überwindung der Konkurrenz um Lebensgrundlagen auch im
gewohnten Sinn rationeller wäre. Sie ist nicht mehr Traum
oder religiöse Utopie. Fast alle, sogar die heutigen
Repräsentanten der Macht, hätten mehr Vorteile als
Nachteile davon.
Es wären nicht etwa gewaltige
Umstürze erforderlich. Relativ kleine regulierende Eingriffe
an einigen Hebelpunkten, vor allem im Geld-, Eigentums- und
Steuerrecht würden genügen, um die ganze Menschheit,
„fast von allein“, in einen menschenwürdigeren
Zustand kippen zu lassen. Es muß nur zunächst die
Zwangsvorstellung aus den Köpfen vertrieben werden, daß
Machtkonkurrenz zwischen Menschen gewissermaßen
naturgesetzlich unvermeidbar sei und sich daher auch nicht durch
Zusammenarbeit behindern lasse.
Das Umkippen wird ähnlich
geschehen, wie wir es von „Phasenübergängen“
in sehr viel simpleren Systemen kennen: Bei der Annäherung
an einen „kritischen Punkt“ lassen lokale
Gegebenheiten an irgendeiner Stelle zuerst deutlich werden, daß
die bisher attraktiven Leitideen nicht mehr weiterführen. Es
treten verstärkt Probleme auf, die zu heftigerem Gezappel
führen. Beim damit verbundenen Abtasten benachbarter
Möglichkeiten findet die Wirklichkeit in den Einzugsbereich
einer weiterführenden Idee, deren innere Organisation das
Zappeln so weit dämpft, daß sie nicht so leicht wieder
verlassen wird. Die Stelle, an der dieser Übergang gelungen
ist, wird dann zur Keimzelle, von der aus das gesamte System, das
ja ebenfalls dem kritischen Punkt nahe ist, zum Umkippen in die
neue lebensfähigere Gestalt angeregt wird.
Die
Wirklichkeit, um die es nun geht – das Geschehen in 6
Milliarden Menschenhirnen – ist unvorstellbar komplex, und
so können wir nicht ahnen, wo und wann der
Selbstorganisationsprozeß einsetzt, der durch die globale
Beschleunigungskrise hindurchführt. Die Keimzelle wird
sicherlich nicht in den weltweiten Verhandlungen zwischen
Regierungsbeamten und „global players“ entstehen,
denn dort klammert man sich weiter an die zusammenbrechenden
Ideen.
Vorstellbar scheint mir aber, daß unter dem
Eindruck der sich nun überschlagenden Frechheit des globalen
Finanzkapitals in einigen kleineren hochentwickelten Ländern
die öffentliche Meinung in Bewegung gerät und der
Aufbruch an der Front des siebten Tages beginnt. Reiche kleine
Völker könnten vielleicht als erste begreifen, daß
sie nicht notwendig miteinander in Konkurrenz stehen – und
schon gar nicht mit fernen Ländern auf der anderen Seite der
Erde. Mit der Einführung eines neuen Geldsystems und der
Beschränkung gewisser Eigentumsrechte könnten sie
anfangen, gemeinsam den Ausstieg aus diesen Zwängen zu
organisieren und den Übergang zu einer vernünftigeren
Verfassung einzuleiten. Warum sollte das nicht in Europa
beginnen, sobald noch deutlicher geworden ist, daß der
jetzige Kurs abwärts führt? In Europa sind ja auch die
meisten Ideen der Neuzeit entdeckt worden, die zum kritischen
Punkt treiben mußten und nun an ihr Ende kommen.
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Notwendige
Schritte, zu einer lebensfähigeren Verfassung der Menschheit
sind gedanklich schon lange vorbereitet. Auf längere Sicht
wird eine politische Weltverfassung den „Vereinten
Nationen“ und ihren regionalen Unterorganisationen das
Monopol für internationale Gewalt geben und den Bestand
aller ihrer Mitglieder garantieren (nachdem vermutlich die
größten sich in mehrere kleinere aufgeteilt haben).
Nationale Streitkräfte gibt es dann nicht mehr. Aber auch
die Entartung der wirtschaftlichen Konkurrenz hört auf, weil
die Aneignung fremder Lebensgrundlagen verfasungsmäßig
ausgeschlossen sein wird. Der Weltmarkt wird dann eine ziemlich
unwichtige Rolle spielen, und die Nationen werden sich –
wie auch Individuen – viel mehr um ihre „häuslichen
Angelegenheiten“ kümmern – übrigens auch in
ihren eigenen Sprachen.
Damit dies nicht so abstrakt
bleibt, füge ich hier noch in Stichpunkten an, wie man sich
die neuen Verfassungen in einigen Details vorstellen kann. Die
Weltverfassung dürfte etwa folgende gemeinsame Prinzipien
für nationale Verfassungen empfehlen (und größere
Abweichungen davon behindern):
l
Erste Voraussetzung für die gemeinsame Sicherung der
Lebensgrundlagen aller Bürger ist eine gerechte Verteilung
leistungsloser Einkommen – vor allem an jene, die noch
nicht oder nicht mehr arbeitsfähig sind. Im übrigen
wird diese gesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln
erbracht.
l Steuern sind
ausschließlich auf Aktivitäten und Produkte zu
erheben, die als schädlich für Natur und Gesellschaft
begriffen sind (z.B. von einer Zweidrittelmehrheit). Das
bedeutet: einerseits „Größenbegrenzungssteuern“
– zur Begrenzung der Größe von Eigentum an
Lebensgrundlagen – und andererseits verallgemeinerte
Ökosteuern („Entropiesteuern“). Ein simples
Beispiel: Schon mit 25 Pfennig pro Kilowattstunde Primärenergie
käme mehr in den Steuertopf, als mit allen heutigen
deutschen Steuern! Aber natürlich gäbe es auch später,
nach Rückgang der Energieverschwendung, stets eine
ausreichende Steuerbasis, denn jede Zivilisation richtet
unvermeidlich Schäden an.
l
An die Stelle des hergebrachten Geldes, das das Anwachsen der
Vermögen durch Zins und Zinseszins gestattet, ja erzwingt,
tritt ein „neutrales Geld“, bei dem sich das reine
„Haben“ nicht rentiert. Eben deshalb wird es stets
umlaufen und verfügbar sein, um auf dem freien Markt
wirkliche Leistung zu belohnen. Seine Wertbeständigkeit
müßte noch besser als heute durch Zentralbanken
gesichert werden, so daß auch ohne Zinsgewinn das Sparen in
vernünftigem Rahmen (z.B. das Verleihen von Geld über
Banken an „Jungunternehmer“) sinnvoll bliebe.
l
Ein Arbeitslosenproblem gibt es nicht. Das „Bürgergeld“,
also ein leistungsloses Grundeinkommen für jeden, deckt die
Grundbedürfnisse ab – natürlich vorzugsweise für
Kinder, Kranke und Alte. Da aber fast jeder danach streben wird,
sich mehr leisten zu können (z.B. eine schönere
Wohnung), entsteht ein freier Arbeitsmarkt, auf dem viele heute
brachliegende kreative Kräfte angeboten und nachgefragt
werden. Beschränkt ist dieser Markt allein durch die
Größenbegrenzungs- und Entropiesteuern.
l
Das so entstehende Wirtschaftsleben hätte in mancher
Hinsicht durchaus Ähnlichkeit mit einem „bürgerlichen
Kapitalismus im Kleinen“, jedoch ohne die unbegrenzten
Wachstumszwänge und mit erheblich mehr Freiräumen für
die höheren menschlichen Fähigkeiten. Theater würden
nur so aus dem Boden schießen. Es gäbe Schulgeld und
Studiengebühren, die freilich zunächst Bestandteil
eines aus Steuern finanzierten allgemeinen „Bürgergeldes“
und „Erziehungsgeldes“ wären und später,
für Fortgeschrittene, durch Stipendien und Darlehen gegen
Leistungsnachweise gedeckt würden. Freie Schulen und
Universitäten würden dann um Studenten und Professoren
konkurrieren.
l Auch
Wissenschaft und Technik werden eine andere Rolle spielen als
heute. Große Abenteuer sind mangels der Möglichkeit
großen Machtgewinns nicht mehr wahrscheinlich. Selbst in
Bereichen, wo eine relativ hohe Innovationsgeschwindigkeit nicht
gleich katastrophale Folgen haben muß (z.B. im Internet)
würde die Motivation zum immer rascheren Voranstürmen
wahrscheinlich geringer. Dafür wird es mehr
Grundlagenforschung geben – mit tieferem Nachdenken über
fundamentale Fragen der Wissenschaft. Hier läßt zwar
ebenfalls jede Problemlösung mehrere neue Probleme sichtbar
werden, doch können unter diesen nicht Biosphäre und
Kulturen zusammenbrechen.
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