Heinz
Maier-Leibnitz, ein bekannter Wissenschaftler, Kernphysiker seit
fast 50 Jahren, der sich öffentlich dafür eingesetzt
hat, die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht
zu überschätzen, ist des Monologs unter Gleichgesinnten
müde. Er bietet einen jüngeren Physiker-Kollegen, der
in Österreich mitreißende Reden gegen das
Atomkraftwerk Zwentendorf gehalten hat, um einen
Gedankenaustausch. Peter Kafka hat als Astrophysiker die
Selbstorganisation des Universums vom Urknall bis zur
Wachstumskrise studiert und ist so auf die Frage gestoßen,
welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der
Fortschritt nicht krebsartig wird. Er wurde zu einem Wortführer
der „politischen Ökologie“ und hat zum
Widerstand gegen die großtechnische Nutzung
wissenschaftlicher Erkenntnisse aufgerufen. Die Anregung zum
Briefwechsel griff er begeistert auf, weil er – wie sein
Partner – an Erkenntnisfortschritt durch Diskussion
glaubt.
Die Fülle der Themen wird in drei
Grundsatzreferaten einleitend umrissen. In den Briefen
diskutieren die beiden Physiker in sehr persönliche Form
unter anderem über:
– Freiheit der Wissenschaft
und Verantwortung der Wissenschaftler – Müssen in
der Energiefrage Entscheidungen unter Zeitdruck gefällt
werden? – Risiken kerntechnischer Anlagen –
Großtechnik und Forschung oder die Zentralisierung? –
Nutzen der Energie und Energieverschwendung –
Atomenergie und Alternativen – Sinn und Unsinn von
detaillierten Zukunftsentwürfen.
Am Ende hat keiner
den anderen überzeugt. Der Leser findet aber in den Briefen
– sie wurden unverändert abgedruckt – eine Fülle
von neuen und gewichtigen Argumenten für eine Diskussion,
die gerade erst begonnen hat.
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Inhaltsverzeichnis
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Vorbemerkung
der Autoren
Heinz Maier-Leibnitz:
Die Rolle der Wissenschaft bei den Anfängen der
Kerntechnik
Peter Kafka:
Einfalt und Vielfalt – Über das Wesen der Energie- und
Wachstumskrise
Heinz
Maier-Leibnitz: Atomenergie – vor 23 Jahren und
heute betrachtet
Briefwechsel
zwischen Peter Kafka und Heinz Maier-Leibnitz 26.
Nov. 1979 – 20. Mai 1982
Heinz
Maier-Leibnitz: Nachwort
Peter
Kafka: Nachwort
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Leseprobe
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Vorbemerkung
der Autoren
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Auf
S. 65 dieses Buches beginnt unser Briefwechsel, der sich mit
einigen Pausen über zweieinhalb Jahre erstreckte. Er ist
authentisch, die Briefe sind ohne Kürzungen oder
redaktionelle Bearbeitung abgedruckt. Wir sind uns persönlich
nicht bekannt und hatten außerhalb dieser „Streitbriefe“
keinen Kontakt miteinander. Der Leser kann daher unsere
„Begegnung“ vollständig nachvollziehen.
Den
Briefen sind drei Vortragstexte gleichsam als Einführung in
die Thematik des Briefwechsels vorangestellt. Die Lektüre
dieser Texte ist zum Verständnis der Briefe nicht
erforderlich, aber hilfreich. Der erste Vortrag soll die
Situation im Jahre 1956 beleuchten, als in der Bundesrepublik
noch keine Uneinigkeit über die friedliche Nutzung der
Kernenergie sichtbar war. Die anderen Texte aus den Jahren 1978
und 1979 reflektieren den seither entstandenen Dissens, wobei
Kafkas „Erweckungspredigt“ zur Abkehr von aller
Großforschung und Großtechnik aufruft, während
Maier-Leibnitz zwar die Kritik aus der „Anti-Atom-Bewegung“
in seine Überlegungen mit einbezieht, an seiner
grundsätzlichen Befürwortung der friedlichen Nutzung
der Kernenergie jedoch festhält. Die beiden letzten Vorträge
waren der Ausgangspunkt für den Briefwechsel.
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Vorbemerkung
des Verlages zur Neuauflage
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Nach
dem Reaktorunglück von Tschernobyl (26.4.1986) haben sich
die beiden Autoren und der Verlag darüber verständigt,
die „Streitbriefe über Kernenergie“ in einer
erweiterten Taschenbuchausgabe neu herauszubringen. Deshalb haben
die Autoren ihre Auseinandersetzung fortgeführt und dabei
die Folgen von Tschernobyl berücksichtigt. Die neuen Texte
wurden in der Reihenfolge ihres Entstehens abgedruckt, wobei
Peter Kafka einen ursprünglich für die „Süddeutsche
Zeitung“ verfaßten Aufsatz und zwei Briefe beitrug.
Heinz Maier-Leibnitz schrieb seine Texte gezielt für die
Neuausgabe, verzichtete dabei auf die Briefform. Sämtliche
Texte der Erstausgabe wurden unverändert übernommen.
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Nachwort
von Heinz Maier-Leibnitz
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Wir
beenden unseren Briefwechsel mit gemischten Gefühlen. Ich
bin mehr als vorher überzeugt: Die Wissenschaftler können
die Welt nicht lenken, und ihre Verantwortung kann nicht groß
sein. Sie wollen und sollen forschen, und damit sind sie zu
beschäftigt, als daß sie noch einen vollen Beruf als
Politiker ausüben könnten.
Das heißt
nicht, daß sie nicht auch Bürger sind und wie diese
Wünsche und Träume haben oder daß sie sich nicht
auch konkret Gedanken machen, was geschehen könnte, und
versuchen etwas durchzusetzen. Dazu ist ein Weg der Versuch der
wissenschaftlich-technischen Politik-Beratung, oder eigentlich
mehr, nämlich die Pflicht dazu, denn ohne die Auskünfte,
die nur wir geben können, geht es nicht.
Der andere
Weg ist der der Bürgerinitiativen. Hier ist ein Punkt, wo
wir uns in den Briefen nicht geeinigt haben. Ich meine, wir
müssen die Politiker verstehen, wie sie sind, und erwarten,
daß sie auf Grund unserer Auskünfte und auf Grund
ihrer Einschätzung der Bedürfnisse und der Wünsche
der gesellschaftlichen Kräfte das politisch Mögliche
tun. Herr Kafka mit seinen Freunden sieht darin keine
Möglichkeit. Er scheint zu glauben, daß die
Veränderung von einer gutwilligen und erleuchteten
Minderheit ausgehen muß, zu der er sich und seine Freunde
zählt.
Bei den Zielen gibt es ein gewisses Maß
von Übereinstimmung zwischen uns. Ich gestehe meine
Sympathie für weniger Wachstum und den „Fortschritt in
Gemächlichkeit“. Aber über die möglichen
Wege sind wir so verschiedener Meinung – und „wir“
heißt nicht wir beide, sondern zwei große Gruppen –,
daß keiner von uns ganz recht haben kann, jedenfalls nicht,
was die Vorhersage für die künftige Entwicklung
betrifft, denn darauf werden beide Gruppen und noch viele andere
Einfluß haben. Deshalb müssen wir miteinander reden,
auch wenn es uns nicht besonders freut.
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Nachwort
von Peter Kafka
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Nun
darf ich noch ein Wort zu Ihnen, den Lesern, sagen. Jene, die
sich schon anfangs kopfschüttelnd fragten, warum denn ein
seriöser Fachmann sich überhaupt mit einem derart
naiven alternativen Schwätzer eingelassen habe, sind nicht
mehr dabei; ich nehme also an, Sie alle wollten etwas
hinzulernen, um die in immer schnellerer Folge von uns
geforderten Entscheidungen über Wege in die Zukunft mit mehr
vernünftiger Zuversicht und weniger leichtsinniger
Risikofreude anzugehen. Hoffte aber jemand, nach einer solchen
Diskussion stünden ein paar einfache Wahrheiten für
beide Streiter und alle Leser fest, so ist er nun enttäuscht.
Wir haben anscheinend kaum etwas voneinander lernen können.
Vielmehr haben wir oft aneinander vorbei zu Ihnen gesprochen, um
Sie von eigenen Einsichten zu überzeugen oder für
Vorurteile einzunehmen. Das Ergebnis ist also nicht viel anders,
als hätten Sie je ein Buch von beiden Seiten gelesen. Aber
auch das ist ja schon etwas wert.
Über eines
allerdings waren wir uns wohl einig: ob wir die großtechnische
Nutzung der Kernenergie weiter ausbauen oder wieder einstellen,
ist eine gesellschaftliche Frage, nicht etwa eine
technische.
Wer heute über mögliche Leitlinien
gesellschaftlicher Entwicklung nachdenkt, den schimpft man einen
Ideologen. Wenn Sie wollen, nennen Sie also Herrn Maier-Leibnitz
einen ideologischen Kernenergiebefürworter und mich einen
ideologischen Kernenergiegegner. Herr Maier-Leibnitz hängt,
wenn auch durch Erfahrung leicht verunsichert, der „Ideologie
des großtechnischen Optimismus“ an, die ich so
zusammenfassen möchte:
Die
Menschheit steht vor gewaltigen Problemen. Mögen diese auch
größtenteils erst durch menschliches Handeln
entstanden sein – der Mensch läßt sich leider
nicht ändern, und deshalb liegt der einzige Ausweg in
weiterem, ja beschleunigtem und besser gezieltem, rationalem
Handeln von Sachverständigen und verantwortlichen
Regierungen. Beschleunigte und zielgerichtete Planung sind aber
am besten in Großforschung und Großtechnik
gewährleistet.
Demgegenüber vertrete ich
eine vorsichtigere Ideologie, die heute kurz „grün“
genannt wird:
Das System von Leben
und menschlicher Gesellschaft ist so komplex, daß jedes auf
vordergründige Ziele gerichtete, zentral gesteuerte Handeln
fast mit Sicherheit zerstörerisch ist. Aus eben solchem
Handeln stammen ja auch all die gewaltigen Probleme. Der einzige
Ausweg liegt daher im Wachsen angepaßter Technik und
dezentraler gesellschaftlicher Institutionen, die militärische
und technokratische Einfalt und Raserei beschränken und
statt dessen Vielfalt und Gemächlichkeit, die Bedingungen
weiterer Evolution, begünstigen.
Offensichtlich
muß eine der beiden Ideologien mehr Wahrheitsgehalt haben
als die andere, aber welche nun die künftige Entwicklung
bestimmen wird, hängt von Ihnen, den Bürgern, ab. Sie
müssen fähig werden, aus Einsicht zu entscheiden; sonst
entscheiden „naturgemäß“ die
wirtschaftlichen Machthaber im eigenen Interesse.
(...)
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Die
Autoren haben ihre Nachworte unabhängig voneinander und ohne
Kenntnis des jeweils anderen Textes geschrieben.
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